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LONDON – Notting Hill und die verschwundene blaue Tür

Geht man im Oktober mit Kindern etwas mehr als zwei Wochen lang im Norden Europas auf Reisen, so muss man wohl damit rechnen, dass dem einen oder anderen die Nase zu rinnen oder der Hals zu kratzen anfängt. Wir blieben nicht verschont. Linus (10) und ich zogen also alleine los, um das nahe gelegene Stadtviertel Notting Hill zu erkunden. Selbstverständlich hatten wir im Vorfeld alle den berühmten Film mit Julia Roberts und Hugh Grant im Originalton angesehen, um unser Englisch aufzubessern. Es war also klar, dass wir uns auf die Suche nach der „blauen Tür“ begeben wollten, hinter der der Buchhändler William Thacker seiner Kundin Anna Scott sein Badezimmer zum Umziehen zur Verfügung gestellt und ihr danach in Honig eingelegte Marillen angeboten hatte. Leider war die gesuchte Tür sowie der ganze dazugehörende Gebäudekomplex hinter Baustellenabsperrungen aus Schaltafeln versteckt, die zwar dieselbe königsblaue Farbe, aber leider nicht die Fotogenität des Hauseingangs aus dem Film aufwiesen.

Uns war es einerlei. Es gab genug pittoreske Häuser, Gassen und Winkel zu entdecken, sobald man nur seinen Kopf zur Seite neigte und von den Hauptverkehrsrouten abzweigte. Der Himmel war von dichten Wolken bedeckt. Das gedämpfte Licht ließ die die sanften Pastelltöne der Fassaden in meinen Augen noch eine Spur blasser und friedlicher erscheinen.

Wir kundschafteten unbekanntere Seitenstraßen wie „Simon Close“ oder „Denbigh Terrace“ aus und betrachteten neugierig, welcher Typ Mensch die hübschen Häuser dieser Gegend durch die bunten Eingangstüren betrat oder verließ.

Obwohl die Hauptsaison schon lange vorüber ist und die Weihnachtssaison noch nicht begonnen hat, strömten tausende Touristen in die Portobello Road. Linus (10) und ich schlenderten nur ein kleines Stück mit den vielsprachigen Massen mit. Zudem legten wir unser Augenmerk auch weniger auf den Tand, den es an jeder Ecke zu kaufen gab, als vielmehr auf ein paar verstecktere Anwesen, die einem erst auf den zweiten Blick auffielen.

Am himmelblauen Haus in der Mitte des Bildes ist eine blaue Plakette angebracht, die dem interessierten Spaziergänger erläutert, dass George Orwell in den Jahren 1927-1929 hier lebte. Seine Zeit in Notting Hill prägte seine politischen Ansichten.

Ganz allgemein lohnt es sich in London immer, auf sogenannte „Mews“ zu achten. Heutzutage bezeichnet man mit „Mews“ Reihen oder Straßen mit Häusern, die auf ehemaligen Stall- und Kutschengeländen errichtet wurden. Doch handelte es sich dabei gar nicht um die originäre Verwendung der Gebäude. Die allerersten Bauten, die im 16. Jahrhundert zu Pferdeställen umgebaut worden waren, befanden sich in den „King’s Mews“ in der Nähe von „Charing Cross“ und beherbergten im 13. Jahrhundert die königlichen Falken. In der Falknerei wurden Stallungen für Greifvögel, die oft über drei Stockwerke reichen, in denen die Tiere frei fliegen konnten, und in die sie vor allem während der Mauser hingebracht wurden, „Mews“ genannt. Auch in Notting Hill sind diese kleinen Schmuckstücke überall versteckt. Falls ihr hier einmal eure Streifzüge macht, so haltet Ausschau nach den „Pencombe Mews“, den „Colville Mews“, „Denbigh Close“ oder den „St. Luke Mews“. Es lohnt sich!

Denbigh Close
„Colville Mews“

Zu guter Letzt spazierten wir im herbstlichen Nieselregen noch an einigen hübschen Villen vorbei, …

bevor wir den „Westbourne Grove“ mit seinen schmucken Geschäften erreichten und uns bei „Daylesford Organic“ mit einigen Schmankerln aus der Region versorgten. Mit zwei Taschen prall gefüllt mit Bio-Cheddar im dunkelblauen Wachsmantel, Chutney aus karamellisierten Zwiebeln, Smoothies, frisch zubereiteten Salaten, Brot und Fiery Ginger Beer hüpften wir rasch in den gerade ankommenden Doppeldeckerbus und freuten uns auf ein gesundes und stärkendes Abendessen gemeinsam mit den erkälteten „Mäusen“ in unserem Appartement. Ob sie sich ausreichend erholen konnten, um beim nächsten Ausflug wieder mit von der Partie zu sein?

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