FreiGepäck

LONDON – Acht Millionen Exponate, …

… 92.000 m² Ausstellungsfläche, ältestes beständig existierendes Museum, fast sechs Millionen Besucher jährlich, größter überdachter Innenhof Europas.

Als mich die Dame vom Sicherheitsdienst am Südeingang des „British Museum“ freundlich darüber informierte, dass ich ohne Vorreservierung des eigentlich kostenfreien Tickets zum Nordeingang am „Montague Place“ laufen müsse, hegte ich keinerlei Zweifel daran, dass die zehn Minuten Fußmarsch, von denen sie sprach, realistisch seien. Ich befürchtete schon, dass die Reihe dort noch viel länger ausfallen könnte, stellte aber wohlwollend fest, dass sich am „Tor der Spontanen“ gefühlt sogar weniger (jedoch immer noch genug) Menschen anstellten. Meine beiden älteren Kinder waren schon seit zwei Stunden im Museum, während ich zuvor noch Linus (10) mit frischem Orangensaft, Taschentüchern und Hörbüchern versorgt im Appartement ins Bett steckte und ihm einbläute, dass er liegen bleiben und niemandem die Tür öffnen solle. Unsere Reihum-Erkältung war erwartungsgemäß bei ihm angelangt.

Die Überprüfung meines Kamerarucksackes ging Gott sei Dank flott vonstatten. Laurin (17) und Maja (14) erwarteten mich bereits. „Komm mit! Wir müssen dir etwas zeigen!“, sagten sie ganz begeistert, noch bevor sie mich richtig begrüßten. Der Besuch des „British Museum“ war auf Laurins Wunschliste gestanden. Die beiden zerrten mich in die Ausstellungen zum „Mittleren Osten“ und blieben grinsend vor einer der Vitrinen stehen. „Die älteste Kundenbeschwerde der Welt!“, erklärte mein Sohn und wusste erstaunlich viel über den babylonischen Großhändler Ea-nasir, der der Nachwelt Tontafeln seiner Kunden – Aufträge und Beschwerden – hinterlassen hatte. Ich hatte vom Internet-Hype rund um den 4.000 Jahre alten Reklamationsbrief in Keilschrift überhaupt nichts mitbekommen, die Jugend im Haus sehr wohl.

Ganz rechts: Wütender Brief des Kupferhändlers Nanni, der sich um 1750 v.Chr. darüber beschwert, dass Ea-nasir seinem Boten minderwertige Kupferbarren angeboten habe.

Die zahlreichen Exponate des „British Museum“ – 50.000 werden von den gesamt acht Millionen gezeigt – kann man unmöglich vollständig und ausgiebig an einem Tag erkunden. Wir hatten uns bereits im Vorfeld Gedanken darüber gemacht, welche Schwerpunkte wir setzen wollen und durchstreiften daher den „Mittleren Osten“ eher locker und ziellos. Dennoch waren uns ein paar Stücke aufgefallen, die wir näher in Augenschein nahmen.

Rekonstruktion einer bootförmigen Harfe aus dem frühen Mesopotamien (ca. 2600 v. Chr.). Die goldenen Stimmwirbel sowie die blaue Lapislazuli-Verzierung sind Originale.
Silberne Lyra (ca. 2600 v. Chr.) – Das Silber und die Lapislazuli-Einlegearbeiten sind antik. Beim Fund dieses Instruments war aber das Holz des Rahmens verrottet. Der Finder Leonard Woolley goss Gips in die Löcher, die das verschwundene Holz hinterlassen hatte und bewahrte so Form und Verzierungen.
Zerdrückter Schädel mit prunkvollem Kopfschmuck von Königin Puabi (ca. 2500 v. Chr.) – Sie dürfte im Alter von etwa 18 bis 20 Jahren gestorben sein, woran ist nicht bekannt. Für Krieger und Dienstpersonal galt es als große Ehre, mit ihrem Herrscher begraben zu werden. Königin Puabi wurde mit insgesamt 74 Menschen beigesetzt.
Rekonstruktion des Kopfschmucks von Königin Puabi

Die japanische Galerie des Museums stand tatsächlich auf unserem Plan. Über Laurins Japanliebe berichtete ich euch ja schon früher. Sowohl Kuratierung als auch Präsentation fanden wir sehr gelungen. Wie sehr die Auswahl der Exponate vom japanischen Mitsubishi-Konzern als langjährigem Sponsor beeinflusst wurde respektive wird, konnten wir nicht beurteilen. Der Gesamteindruck war aber für uns als Besucher sehr ausgewogen.

Samurai-Rüstung aus der Edo-Zeit (hergestellt im 18. Jahrhundert)
Die Samurai-Rüstung war eher für Zeremonien als für den Kampf gedacht und trug das Wappen des Mori-Clans.

Wir blieben noch eine Zeit lang in unterschiedlichen Ausstellungen zum gesamten asiatischen Raum, bestaunten das filigrane Porzellan aus der chinesischen Ming-Dynastie …

… und die exotischen Götterstatuen Sri Lankas und Indiens.

Ursprünglich vergoldete Bronzestatue der Göttin Tara (hinduistische Muttergöttin) aus Sri Lanka (8.-9. Jahrhundert)
Hanuman (Affengott)
Die tantrische Göttin Kali schreitet über ihren Ehemann, den Gott Shiva (Ostindien, 19. Jahrhundert)
Tanzender Shiva (11. Jahrhundert)

Zwischendurch telefonierten wir immer wieder mit unserer Schnupfennase. „Seid ihr jetzt schon im Mexiko-Raum gewesen? Ihr müsst unbedingt auch ohne mich hingehen und Fotos machen, ja?“, trug er uns auf. Fragt man Linus (10) nach seinen Lieblingstieren, so steht an erster Stelle die Katze gemeinsam mit dem Axolotl. Seitdem er weiß, dass Axolotl nur in zwei bestimmten Seen in Mexiko – im Xochimilco-See und im benachbarten Chalco-See innerhalb eines vulkanischen Beckens bei Mexiko-Stadt – natürlich vorkommen, ist Mexiko Linus‘ Lieblingsland.

Türsturz der Maya-Stadt Yaxchilán (Blütezeit der Stadt von 350 n. Chr. bis 810 n. Chr.)
Maske des aztekischen Feuergottes Xiuhtecuhtli (ca. 1400 – 1520 n. Chr.)
Statue von Mictlantecuhtli, dem Herrscher der aztekischen Unterwelt Mictlan

In der engeren Auswahl derjenigen Räume, die wir gerne im „British Museum“ besucht hätten, befand sich auch die „Afrika-Ausstellung“, welche aber leider gerade nicht zugänglich war. Daher bekundete abschließend nur noch ich selbst Interesse an einem bestimmten Bereich des Museums, bevor wir wieder zu unserer „Basis“ zurückkehren wollten. Wir machten eine kurze Trinkpause im „Great Court“, dem größten überdachten Innenhof Europas. Wusstet ihr, dass ein einmaliger Reinigungsdurchgang der über 3.000 einzelnen Glaselemente ganze zwei Wochen in Anspruch nimmt? Leider verrät das „British Museum“ auf seiner Seite nicht, wie viele Arbeiter dafür gleichzeitig beschäftigt werden.

Die Glas-Stahlkonstruktion wurde zur Jahrtausendwende vom österreichischen Unternehmen Waagner Biro AG errichtet.

Da ich mich ja ganz besonders für die Kelten und die Geschichte Schottlands interessiere, wollte ich mir selbstredend eine Betrachtung des „Lindow-Mannes“ nicht entgehen lassen. Wir schlenderten zum Raum 50 „Britain and Europe 800 BC – AD 43“, wo sich Laurin (17) und Maja (14) zum Quatschen auf den schlichten, grauen Besucherbänken niederließen, während ich mich auf die Suche nach der berühmten Moorleiche machte.

Der Lindow-Mann musste unterschiedliche Gewalteinwirkungen ertragen. Jede für sich genommen hätte allein zum Tod geführt. Hinsichtlich der Datierung gibt es unterschiedliche Ergebnisse (300 v. Chr. gemäß der Radiokohlenstoffdatierung des Torfs, in dem der Mann gefunden worden war; 20 n. Chr. bis 90 n. Chr. gemäß der Analyse seiner Knochen)
 Der Lindow-Mann wird in einer klimatisierten Vitrine bei 19 °C und 55 % relativer Luftfeuchtigkeit aufbewahrt.

Keltische Kleidungs- und Schmuckstücke üben auf mich eine ganz besondere Faszination aus. Ich versuche mir immer vorzustellen, welchen Eindruck Menschen hohen Ranges auf die sonstigen Bewohner ein Dorfes ausgeübt haben mögen.

Dass der „Große Torque von Snettisham“ hier ausgestellt war, überraschte mich. Es soll sich dabei um einen der bedeutendsten keltischen Funde überhaupt handeln. Ein „Torque“ – für alle, die nicht so sehr in der Thematik stecken – ist ein nach vorne hin offener Hals- oder Armreif.

Der „Große Torque von Snettisham“ hat einen Durchmesser von 20 cm, ist 1 kg schwer und stammt aus der Zeit von 100 – 75 v. Chr.

Für uns war es an der Zeit aufzubrechen. Ich war froh, dass wir uns für den Besuch des Museums den langen Öffnungstag der Woche auserkoren hatten – freitags schließt es seine Pforten erst um halb neun abends. Wir hatten jede Minute gebraucht. Doch ein schneller Blick auf das wohl berühmteste Ausstellungsstück ging sich noch aus:

„Rosetta Stein“

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