FreiGeist

Vom Korn zum Brot

Was die Externisten in Österreich – also jene Schulkinder, die nicht regulär zur Schule gehen, sondern außerhalb des öffentlichen Bildungswesens lernen dürfen – leisten, verdient absolute Hochachtung. Die Externistenprüfungen dienen bei weitem nicht mehr der reinen „Feststellung der Gleichwertigkeit“ im Vergleich zum regulären Unterricht, obwohl dies in Wahrheit der gesetzliche Auftrag wäre. Gerade in der Sekundarstufe treiben die Prüfungen oftmals seltsame Blüten. Man möge mir vor allem in den sogenannten „Lernfächern“ zeigen, dass alle Schulkinder an allen öffentlichen Schulen im Juni die gesamten Lerninhalte des Jahres beherrschen und daraus – ohne jegliche vorherige Stoffeingrenzung – innerhalb von 15 Minuten zwei von drei x-beliebigen Fragen vor einer fremden Prüfungskommission beantworten können, wissend, dass sie das gesamte Schuljahr wiederholen müssen, wenn sie sich dabei einen „Fehltritt“ leisten. Und dieser „Fehltritt“ kann auch in Kunst oder Musik passieren. Nein, die Externistenprüfungen haben wahrlich nichts mit der Feststellung der Gleichwertigkeit zu tun, sondern werden seit geraumer Zeit als politisch aufgeladenes Instrument genutzt, um den Eltern diesen Weg zu verleiden, obwohl er Teil unserer Verfassung ist.

Dass Maja (13) Vorträge an ihrer Prüfungsschule zu frei wählbaren Themen halten darf, basiert auf Freiwilligkeit und kann daher als Fleißaufgabe gewertet werden. In eine spätere Beurteilung dürfen derlei Referate unfairerweise ex lege nicht einfließen. Dabei profitieren davon alle Beteiligten. Publikum und Lehrer erleben möglicherweise andere Vortragstechniken, alternative Schwerpunktsetzungen oder unkonventionelle Möglichkeiten der Interaktion. Das referierende Kind übt das Sprechen vor fremder Zuhörerschaft und erfährt dabei, was einerseits andere besonders begeistern kann und andererseits, wo Fragezeichen stehen bleiben, weil man vielleicht unklare Aussagen getätigt hatte. So sind wir der Schulleiterin tatsächlich dankbar für diese nicht selbstverständliche Möglichkeit des Austauschs.

In diesem Schuljahr erhielt unsere Tochter zwei Mal Gelegenheit zu sprechen. Die Inhalte sucht sie sich dabei aus den Lehrplänen der korrelierenden Schulstufe selbst aus. Zuletzt fiel die Wahl auf das Themengebiet „Getreide“ in ihrem Lieblingsfach Biologie.

Obwohl sich auch im schulischen Kontext digitale Präsentationen mehr und mehr durchsetzen, entschied sich Maja wie so oft für die analoge Variante. Statt eines Plakats bereitete sie ein Lapbook vor, das geeigneter ist, ein Mehr an Informationen anschaulich zu verpacken.

Fünf bei uns gängige Getreidesorten wurden von ihr detailliert vorgestellt – Herkunft, Blütenstand, Wuchshöhe und Verwendung wurden im Einzelnen erörtert.

Zusätzlich brachte sie unser „Getreidematerial“ aus dem Schulkammerl zu Anschauungszwecken mit in die Schule.

Neben dem allgemeinen Aufbau einer Getreidepflanze …

… erläuterte sie auch den Aufbau eines einzelnen Ährchens sowie die unterschiedlichen Blütenstände.

Besonders stolz war Maja (13) auf ihren Bestandteil zum Aufbau des Getreidekorns.

Ihr Plan war es, zusätzlich näher auf Getreideprodukte und insbesondere auf die Erzeugung von Brot einzugehen. Nun hätten wir natürlich im Vorfeld eine moderne Mühle besichtigen können. Vermutlich hätten wir aber vom automatisierten, computergesteuerten Herstellungsprozess der Mühlenprodukte nicht viel mehr als die unglaubliche Geräuschkulisse der riesigen maschinellen Anlagen mitbekommen. In Nostalgielaune waren wir stattdessen zur Vorbereitung auf das Referat in das „Tal der hundert Mühlen“, das Lesachtal, gefahren.

Der Mühlenverein in Maria Luggau betreibt heute noch fünf vollfunktionsfähige Mahlwerke (von ursprünglich zweihundert im gesamten Lesachtal) und nutzt dafür nach wie vor ausschließlich die Kraft des Wassers. Als ob uns das Element der Veränderung mit besonderem Nachdruck zeigen wollte, wozu es imstande ist, goss es in Strömen, als wir beim Bauernladen ankamen, wo uns Frau Lugger treffen wollte. Mit Enthusiasmus führte sie uns den Mühlenwanderweg entlang, zeigte uns das kleine Mühlenmuseum und hatte zahlreiche Anekdoten zur historischen Lebensweise der Lesachtaler Bauern parat.

Eine der Mühlen wurde extra für uns in Betrieb gesetzt. Laut scheppernd setzte sich alles in Bewegung. Das Getreide – in den Trichter geleert und durch den Rüttelschuh, der das „Klappern der Mühle“ erzeugt, in genau der rechten Dosis zum Mühlstein geleitet – wurde gemahlen und anschließend ausgesiebt.

Die Kleine fällt in eine abgesonderte Kiste.

Nach dem Besuch des „Mühlenkinos“ und der „Brechelstube“ ging es wieder zurück in den Bauernladen, wo wir einen Laib des „Lesachtaler Bauernbrots“ einkauften, den Maja im Rahmen ihres Vortrags als typisches „Schwarzbrot“ neben einem französischen Baguette als Vertreter des „Weißbrots“ verkosten lassen wollte.

Die unterschiedlichen Mühlenprodukte – Mehl, Grieß, Schrot – packte sie ebenfalls als Anschauungsmaterial für die anderen Schüler ein.

Am Morgen des Vortragstages war Maja wahnsinnig aufgeregt und entsprechend schlecht gelaunt. Sie hätte sich niemals darauf einlassen sollen, klagte sie und beschwerte sich bei einem Übungsdurchlauf über Kritik und Verbesserungsvorschläge meinerseits. Gleichwohl packte sie alles zusammen und ließ sich zur Schule fahren. Ich selbst bin bei ihren Referaten nie anwesend. Ich half ihr beim Aufbau und verließ den Raum. Vom Gang aus vernahm ich zuerst lange Zeit nur Stille, dann Lachen und schlussendlich lauten Applaus. „Mama, von allen Vorträgen, die ich jemals halten durfte, war das mit Abstand der beste“, meinte sie gut gelaunt. „Heute in der Früh …“, begann ich meinen Satz und wurde just von ihr unterbrochen. „… wusste ich noch nicht, wie gut es laufen wird“, vollendete sie ihn grinsend für mich.

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