KROATIEN – Ein bisschen Frieden
Sieht man sich die weltweite politische Entwicklung dieser Tage an, kommt man beinahe an den Rand der Verzweiflung und Resignation. Irgendwie beschleicht mich das dumpfe Gefühl, als sei die Menschheit doch noch nicht so weit entwickelt, wie sie es sich selbst vorgaukelt. Die Gier nach Geld und Macht weniger skrupelloser Über-Leichen-Gänger und eine angstgepeinigte Masse an kleinen Hamstern in ihrem jeweiligen Rad sind eine Jahrtausende alte Konstellation, die ganz offensichtlich nach wie vor bestens funktioniert. Bereits der altehrwürdige Yoda erkannte: „Furcht führt zu Wut. Wut führt zu Hass. Hass führt zu unsäglichem Leid.“ Nur eine winzige Voraussetzung ist vonnöten, um jenen Kreislauf aufrecht zu erhalten. Es braucht einen Kurier, der die Schreckensbotschaften der kriegslüsternen Profiteure der Vernichtung (bzw. des darauf folgenden Wiederaufbaus) an die geplagte Bevölkerung übermittelt.
Dem Boten der schlechten Kunde zu entkommen, fällt auf Dugi Otok nicht sonderlich schwer. Die Internetverbindung ist dermaßen schlecht, dass es selbst hartgesottene Nachrichtenleser aufgeben, Ausschau nach ihm zu halten und sich stattdessen lieber dem direkten Nachbarn oder der traumhaften Natur zuwenden. Schnell stellt man dann fest, dass das Leben neben vielen anderen grandiosen Dingen den Frieden im Grunde kostenlos bereitstellt. Man muss ihn nur nehmen wollen.
Auf der „Langen Insel“ erhält man denselben – so man möchte – sogar doppelt. Frieden heißt auf kroatisch „mir“ und der gleichnamige Salzsee im Naturpark Telašćica macht seinem Namen alle Ehre.
Na gut! Ich gestehe, dass mein allererster Eindruck eher negative Assoziationen hervorrief. Erwartet hatte ich einen weitgehend verlassenen Ort, doch musste ich feststellen, dass die nahe gelegene Bucht Ziel zahlreicher touristischer Ausflugsboote war. Das „Entrée“ des Sees wurde am späten Vormittag von bleichhäutigen Touristen nahezu geflutet, die mit der Zeit im Nacken einen schnellen Sprung in den See wagten, schwärmerische „Aaaahs“ und „Oooohs“ von sich gaben und noch währenddessen einen Schnappschuss von sich selbst mit der Welt teilten. Unser Jüngster (4) war begeistert von dieser quirligen Menschenmenge und entwischte tatsächlich meinem Blickfeld. Gerade hatte ich ihn noch zwischen zwei Baumstämmen geortet, als er ein Augenzwinkern später plötzlich nicht mehr zu sehen war. Toll! Manchmal habe ich das Gefühl, dass dieses entzückende Kind solche Aktionen nur startet, um mich jung und agil zu halten. Ich gab meinem Mann Bescheid und ließ mich von meiner Intuition führen. Nach etwa zwei Minuten, die sich wie zwei Tage anfühlten, entdeckte ich den kleinen Schlingel etwa hundert Meter voraus. Er steuerte geradewegs auf jenen Pfad zu, der sich zum Aussichtspunkt „Vidikovac“ hochschlängelte. Als ich ihn eingeholt hatte, war mir auch sofort klar, warum er auf unser Zurufen nicht reagiert hatte. Er war wieder einmal in die Rolle eines Autos (mit Anhänger) geschlüpft. Ich stoppte den kleinen Ausreißer und wies ihn – mich auf die Straßenverkehrsordnung berufend – an, die Fahrtrichtung zu ändern.
Mein Mann und Linus (10) schlossen sich unserem kleinen Konvoi an, der sich anschickte, den Salzsee zu umrunden.
Der Salzsee „Mir“ ist mit der Adria durch poröses Gestein verbunden und wird unterirdisch vom Wasser des Meeres gespeist. Er ist mit sechs Metern eher flach und im Durchschnitt immer ein paar Grad wärmer als das angrenzende Meer. Durch Verdunstung entsteht der außergewöhnlich hohe Salzgehalt des Sees (vgl. „Wild Places Kroatien“ von Veronika Wengert).
An einem Geröllfeld zu unserer Rechten wäre ich vermutlich gedankenlos vorbeigelaufen, hätte mich nicht mein Mann hingelockt. Nur dadurch offenbarte sich mir hinter hunderten Steinmännchen ein traumhafter Ausblick Richtung Kornaten.
Einige junge Burschen sprangen wagemutig von den hohen Klippen – „stene“ genannt -, was vor allem Linus (10) bewundernd beobachtete und Merlin (4) gottlob nicht bemerkte – er wäre kaum zu halten gewesen, es ihnen gleich zu tun.
Wieder am Rundweg angelangt suchten wir uns einen schattigen Platz unter Kiefern, von dem aus Linus (10) einen Sprung in den See wagen konnte, während mein Mann ein kurzes Nickerchen machte.
Gemütlich beendeten wir die leichte Wanderung in den frühen Nachmittagsstunden …
… und stellten erstaunt fest, dass am Ausgangspunkt nun weit und breit keine anderen Touristen mehr zu sehen waren. Die Ausflugsboote hatten längst alle wieder aufgenommen und wohl zur einen oder anderen Konoba geschippert.