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WIEN – Schönbrunn zwischen Kitsch, Romantik und verloren geglaubten Autoschlüsseln

Lange, bevor unser erstes Kind das Licht der Welt erblickte und meine ersten Haare begannen, weiß zu werden, „entführten“ wir die Mutter meines Mannes einen Tag lang nach Wien. Ilona war eine fröhliche Frau mit rotem Haar und frechen Sommersprossen auf der Nase, gerne unter Menschen und lieber auf Reisen als ihr bodenständiger Mann, der Urlaub in der Werkstatt oder im Schrebergarten bis heute vorzieht. Noch nie zuvor war sie in der Hauptstadt gewesen und viele Jahre später schwärmte sie immer noch von dieser Vergnügungsfahrt. Nun waren wir mit unseren vier Kindern in der Stadt an der „schönen, blauen Donau“. Als uns kurz nach unserer Ankunft die traurige Nachricht erreichte, dass Ilona im 77. Lebensjahr verstorben war, erinnerten wir uns an den sonnigen Tag, der uns auch in den Schönbrunner Schlosspark geführt hatte.

Schnell war seitens der Kinder der Entschluss gefasst, jenen Ort aufsuchen zu wollen, an dem Omas Energie vielleicht noch spürbar sein konnte. Das Wetter passte nicht so ganz zu damals, die Hecken waren des Laubs entblößt und Schönbrunns „schöner Brunn“ außer Dienst, die Erinnerung jedoch war lebendig und den Kindern machte es Freude, sich auf jene Parkbänke zu setzen, auf denen Omi anno dazumal ausgeruht und in die Sonne geblinzelt hatte.

„Meiii, soo liab, die Kindalan“, hätte Ilona wohl gesagt und sie zum Gruppenfoto aufgestellt. Diesen Part übernahmen nun wir für sie.

Wir hatten Karten für die Vorstellung „Aladdin und die Wunderlampe“ im Marionettentheater Schönbrunn und machten uns gegen Abend auf den Weg dorthin.

Ich fand es bedauerlich, dass die Leiterin des Marionettentheaters bei ihren einleitenden Worten keinerlei Verständnis dafür aufbringen konnte, dass Merlin mit seinen drei Jahren das eine oder andere Gesprochene lautstark nachplapperte respektive die Farben der Lichter auf der Bühne detailreich beschrieb. Statt dies mit einem professionellen Lächeln oder einem einfallsreichen Schmäh in seine Richtung zu quittieren, wies sie ihn strengen Tones zurecht, er solle doch bitte „den Mund zuschließen und den Schlüssel bis zum Ende der Vorstellung wegwerfen“, wovon sich Merlin natürlich gar nicht beeindrucken ließ. Recht hatte er. Übrigens: WÄHREND der Vorstellung war unser kleiner Mann dann mucksmäuschenstill, während die fremden (allesamt älteren) Kinder alles so laut kommentierten, dass es sogar die Musik des musikalischen Märchens übertönte. Aber gut. Bei einer Kindervorstellung sehen eben Kinder zu, nicht wahr?

Bedauerlich fand ICH es außerdem, dass man die schöne Erzählung regelrecht zwanghaft und gewissermaßen vulgär einer Komik unterzog, die mehr kindlicher Kitsch als Humor war. So wurde in meinen Augen der Fokus von den tatsächlich wunderschönen Puppen unnötig weggelenkt. Fliegende Teppiche, die wie laute Flugzeuge im Landeanflug klingen, und Ausdrücke wie „Fetzenflieger“ mögen Großstandkinder witziger finden als ich „Provinzkind“. Vielleicht bin ich aber auch einfach zu „altmodisch“. Na, gut! Ich gestehe, die „Kameldisco“ fand ich auch lustig, vor allem aber deshalb, weil sich unser 9jähriger Linus dabei so zerwutzelte und sein Lachen unheimlich ansteckend war. Vielleicht sollte besser er eine Kritik zum Stück schreiben. Immerhin gehörte Linus altersgemäß zum Zielpublikum.

Als wir uns nach der Vorstellung unsere Sachen aus der Garderobe geben ließen und sie einer kurzen Vollständigkeitsprüfung unterzogen, durchfuhr uns der Schreck. Unser Autoschlüssel war nicht da! Auch nach mehrfachem Durchsuchen aller Rucksäcke, Mantel- und Hosentaschen tauchte er nicht auf. Michael, Maja und Laurin wollten ihr Glück im Café versuchen, in dem wir zu Mittag gegessen hatten, doch es war bedauerlicherweise bereits geschlossen. Mein Mann beschloss, zum Parkplatz zu gehen. Möglicherweise war der Schlüssel ja dort verloren gegangen? Ich stand währenddessen mit den Kindern im schneidend kalten Wind am Eingangstor und legte meinen Arm tröstend um Linus (9). Er weinte: „Was machen wir denn jetzt? Weißt du denn überhaupt, wie lange ein Mensch ohne Wasser auskommen kann?“ Ich versicherte ihm, dass er sich diesbezüglich überhaupt keine Sorgen zu machen brauche, dass Geld und Telefon ja in meiner Tasche seien und wir ja Freunde in Wien haben, die fließend Wasser haben und uns sicher ihren Fußboden als Schlafplatz zur Verfügung stellen können, bis das Problem gelöst sei. Echter Trost war ihm das nicht. Die beiden Großen sahen – abenteuerlustig – eher die Herausforderung an der ganzen Sache und schnatterten eifrig dahin. Ich bildete mir ein, dass ich in deren Augen sogar kurz Enttäuschung aufblitzen sah, als Michael vom Parkplatz zurückkehrte … mit dem Schlüssel in der Hand. Warum wir diesen versehentlich im Auto stecken gelassen hatten, wird wohl ein ewiges Rätsel bleiben. Einen klitzekleinen Verdacht hätte ich da allerdings 😉

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