KROATIEN – Cres und die Argonauten
Nach einer ereignisreichen Woche auf Krk führte uns unsere Reise weiter nach Cres und Lošinj. Diese beiden Inseln waren voneinander keineswegs seit jeher durch den schmalen Schiffskanal „Kavada“ im pittoresken Städtchen Osor getrennt, wie man ihn heute kennt. Vielmehr war bereits unter römischer Herrschaft ein Durchbruch für den Seehandel künstlich erschaffen worden. In jener Zeit nannte man die einst bedeutende Siedlung mit ihren damals rund 30.000 Einwohnern noch „Apsorus“ und das gesamte Archipel „Apsyrtides“ und erinnerte somit an die gleichnamige tragische Figur aus der Argonautensage der griechischen Mythologie, aus dessen Gebeinen der Sage nach die Inselkette entstanden sein soll.
Eine kleine Auffrischung gefällig?
Der heranwachsende, testosteronschwangere Iason wollte der ganzen Welt zeigen, was für ein fulminanter Kerl er war. Durchaus mit Führungsqualitäten und ausgeprägtem Ehrgeiz ausgestattet ließ er das Langschiff „Argo“, einen beeindruckenden Fünfzigruderer, bauen und heuerte eine seetüchtige Mannschaft an, die sich „Argonauten“ nannte und mit der er losziehen wollte, um das „Goldene Vlies“ zu erobern. Dies sollte ihm seinen legitimen Platz auf dem Thron sichern, der ihm entrissen worden war. Das güldene Stück Widderfell befand sich im fernen Königreich Kolchis (heutiges Georgien) und hing dort geduldig auf einer heiligen Eiche im Garten des Kriegsgottes Ares. Unglücklicherweise wurde der Teppichvorleger von einem Drachen bewacht, der niemals schlief. Die zauberkundige Priesterin und Tochter des Königs auf Kolchis, Medea, verschaute sich in den Muskelprotz Iason und verabsäumte es, die rosarote Brille kurz abzunehmen, um seine inneren Werte zu prüfen. Sie hinterging in jugendlicher Rebellion ihren Vater und half dem Angehimmelten mit einer mutmaßlich kaltgepressten und aluminiumfreien Salbe aus Prometheusblut, einem mit Zaubertrank benetzten Wacholderzweig und magischen Beschwörungsformeln alle Hindernisse zu überwinden, den Drachen vorübergehend einzuschläfern und das „Goldene Vlies“ an sich zu reißen. Gemeinsam ergriffen sie die Flucht, wurden aber von Medeas Bruder Apsyrtos verfolgt, der das Diebesgut wieder dem König von Kolchis zurückbringen sollte. Die schöne Maid, Opfer der üblichen neuronalen Umbauprozesse, die während der Pubertät im Gehirn stattfinden, betrachtete die Stammfamilie vor dem Hintergrund ihrer neuen Flamme als „Kollateralschaden“, verschuldete den Tod ihres eigenen Bruders durch eine Hinterlist, zerstückelte ihn und verstreute seine Einzelteile in der Nordadria. Heute sehen wir – so die Legende – an ihrer Stelle die Inselgruppe Cres-Lošinj-Unije-Ilovik-Susak-Vele-Srakane-Male-Srakane. Übrigens: Medea wurde später von Iason wegen einer anderen Frau sitzen gelassen.
Tja.
Und wo auf diesem Knochenhaufen
können wir jetzt etwas zum Kochen kaufen,
das – wie Medeas Wundercreme –
auch den Kindern ist genehm?
Die Lösung befand sich direkt auf dem Weg zu unserer nächsten Unterkunft auf der Insel Cres. Etwas abseits der Straße entdeckten wir eine hübsche Laube, in der eine italienische Familie Biolebensmittel, selbst gebackenen Zwetschkenkuchen und Schmuck verkaufte.

Nach dem Verkaufspersonal musste mit einer bereit stehenden Handglocke geläutet werden, woraufhin man zuerst vom Hund des Hauses und mit kurzem zeitlichen Abstand auch von der Besitzerin und Kuchenbäckerin selbst freundlich begrüßt wurde.

Wir statteten uns mit ausreichend Proviant aus und setzten unsere Fahrt fort.



Mein Mann hatte zu unsagbar günstigen Nachsaisonkonditionen ein grandioses Ferienhaus nahe des Dörfchens Punta Križa gebucht, das sich als regelrechtes Anwesen entpuppte. Es waren in der nächsten Zeit schwere Gewitter angekündigt, und so hatten wir uns kurzfristig entschieden, das Zelt in der Dachbox zu belassen und uns hinter festen Mauern einzuigeln, bis das Schlimmste vorüber war.
Noch war es aber nicht so weit. Der Himmel strahlte in unverändertem Azurblau und wir nutzten die Gelegenheit, das Wetter noch auszunutzen und eine Bucht zu besuchen, die meine bessere Hälfte bereits kannte. Auf diesem Teil der Insel waren viele Straßen nach wie vor nicht asphaltiert, und um diese Jahreszeit hatten wir die Schotterpiste quasi für uns alleine.

Wäre ich gefahren, hätte ich den Parkplatz zur „Uvala Meli“ wohl nicht als solchen wahrgenommen und wäre höchstwahrscheinlich daran vorbeigefahren. Gottlob saß mein Mann am Steuer. Er stellte den Wagen ab, und wir genossen noch einmal den traumhaften Blick auf den Velebit in der Ferne, bevor …

… er uns entlang eines Pfades durch den Wald zur Bucht lotste.

Beim Anblick des seichten Strandes drängten sich sofort wieder Gedanken an die heldenhaften „Argonauten“ auf. Vor meinem geistigen Auge lag die „Argo“ hier vor Anker, die sanften Wellen schlugen auf die hölzerne Bordwand und die Helden heckten grölend und wild gestikulierend ihre diebischen Pläne aus, während sie verdünnten Wein tranken.

Die „Uvala Meli“ war perfekt für unseren Jüngsten, der noch nicht schwimmen kann. Ganz untypisch für Kroatien bestand der Boden im weit hinausreichenden flachen Wasser aus feinstem Sand.



Am Strand selbst hatte man nichts als getrocknetes Seegras unter den Füßen – der perfekte Ort, um Frisbee zu spielen …

… oder im Schatten ein gutes Buch zu lesen.

Ob das „Goldene Vlies“ hier zu finden gewesen wäre? Wer weiß? Mystisch war der Platz auf alle Fälle. Glänzende Muscheln wurden von den Kindern als „Piratenschatz“ gehandelt …


.. und Linus (11) erblickte einen Hirsch, der uns – verborgen im Geäst – neugierig beäugte, bevor er – entdeckt – die Flucht ergriff. Vielleicht hatte ja doch Medea ihre magischen Hände im Spiel …


