KROATIEN – Eichenlaub
In einem früheren Leben muss ich Druidin gewesen sein, so sehr fühle ich mich den Eichen verbunden. Berühre ich ihre knorrigen Stämme und fahre sanft mit den Fingern über ihre tiefen Furchen, so ist es, als erzählten sie mir persönlich von der Vergangenheit, von stürmischer Liebe und brutalem Krieg, von Sommer und Winter, von üppiger Fülle und erbarmungsloser Dürre, von trauriger Einsamkeit und schierer Lebensfreude. Stundenlang könnte ich in ihrem Schatten verweilen und über das Leben nachdenken. Da ich jedoch die Präsenz von Stiel- und Traubeneichen intensiver und kraftvoller wahrnehme als jene von Rot- oder Steineichen, vermute ich eine banalere Erklärung als ein ehemaliges keltisch-heidnisches Alter-Ego. Wahrscheinlich mag ich Eichen, weil ich in ihrer Nähe schon so viele traumhaft schöne Stunden verlebt und so unglaublich großartige Menschen getroffen habe.
Als wir am weithin sichtbaren Glockenturm des kleinen Örtchens Poljica im westlichen Teil der Insel Krk Halt machten, um eine Infotafel mit Wanderrouten näher in Augenschein zu nehmen, stach uns die Tour „H128 – Im Schatten großer Eichen“ sofort ins Auge.

Dass Kroatien seit einigen Jahren intensiv in den Tourismus investiert, sieht man an jeder Ecke (und spürt es leider auch im schneller leer werdenden Portemonnaie). Die nigelnagelneuen Wegemarkierungen ermöglichten eine problemlose Orientierung vor Ort auch ohne Wanderkarte. Gemütlichen Schrittes spazierten wir durch das verschlafene Örtchen Poljica und passierten würzig duftende Wiesen und darin grasende Schafe.


Nach nicht allzu langer Zeit (gemessen nach Elternmaßstäben) erreichten wir die Bucht Čavlena und nutzten den kleinen Kiesstrand trotz der Wolken am Himmel für eine Trink- und Planschpause.


Der Rundweg führte uns anschließend wieder von der Küste weg zurück in die Wälder. Als wir nach kurzer Zeit am feuchten Waldboden zwischen Laub und Nadeln etwas Gelbes aufblitzen sahen, staunten wir nicht schlecht. Vor uns breiteten sich regelrechte Felder schmackhafter und erdig duftender Eierschwammerln aus, womit wir auf der Insel Krk wahrlich nicht gerechnet hätten. Mein Gehirn protestierte und weigerte sich beharrlich, den Geruch von Pilzen mit jenem von Salzwasser in Einklang zu bringen. Gleichzeitig lief mir beim Gedanken an ein deftiges Schwammerlgulasch mit Semmelknödeln das Wasser im Mund zusammen.

Während sich die Kinder sorglos und fröhlich plappernd auf die Suche nach den goldenen Waldschätzen machten, fiel mir auf, wie viel Totholz hier liegen bleiben durfte. Die gewaltigen abgebrochenen morschen Äste und die nicht minder imposanten aus der Erde gehebelten Wurzelballen verstärkten den Eindruck der Ursprünglichkeit und Mächtigkeit der Natur, die wir hier vorfanden. Und plötzlich stand sie vor uns: die Göttin der Bäume, die Mächtigste unter den Mächtigen, die Gebieterin des Waldes.

Blattreiche Auswüchse vierhundert ereignisreicher Erdenjahre lasteten auf ihren imposanten Schultern. Ein gewaltiger Stamm ließ nur erahnen, wie tief die Wurzeln reichten. Allein ihr Anblick löste in mir unbeschreibliche Ehrfurcht und gleichzeitig glühende Faszination aus.

Mit meinen Gefühlen war ich nicht allein. Am Fuße einer etwas jüngeren – etwa 250 Jahre alten – Eiche in der Nähe fanden wir eine interessanterweise deutschsprachige Botschaft eines Mitmenschen, der vor uns hier gewandert war und offenbar ebenso Lust zum Verweilen hatte.

Auch wenn ich gerne noch länger geblieben wäre, war es Zeit für den Aufbruch.

Der Wind, der uns schon den ganzen Tag sanft streichelnd begleitet hatte, wurde stärker, erhob sich zum beginnenden Sturm, während die Wolkendecke immer dunkler wurde. Bald schon erreichten wir unseren Ausgangspunkt.

Ein gemütlicher Abend stand uns bevor und Merlin (6) half tatkräftig mit, dass diesem auch einen passender kulinarischer Höhepunkt folgte.




