Kraut vergeht nicht …
Unser Dreijähriger liebt sein Laufrad. Mit diesem unverwüstlichen Gefährt („LikeABike“ von „Kokua“) waren schon all seine älteren Geschwister in der Gegend herumgedüst. Es hat also stattliche fünfzehn Jahre am Buckel und noch kein einziges weißes Haar am Kopf.
Widrige Straßenverhältnisse sind bei unseren Ausfahrten keinerlei Hindernis für den jungen Mann – ganz im Gegenteil!
Wie so oft zog es uns auch dieser Tage auf die Napoleonwiese. Erwähnte ich schon einmal, dass die alten, knorrigen Eichen auf dem Hallstatt-Gräberfeld wahre Kraftorte für mich sind? Könnte ich es mir aussuchen, dann würde ich bitte gerne hier sterben, wenn die Zeit gekommen ist (sagen wir ab dem Jahr 2080 oder so).
Bis dahin hab ich noch zwei, drei Dinge zu erledigen. Ganz oben auf meiner Aufgabenliste steht: „Bringe deinen Kindern möglichst viel über die Schätze der Natur bei.“
Quendel (Feld-Thymian) wächst nicht nur in unserem Naturgarten vor dem Haus. Folgt man seiner Nase, lässt er sich an allen möglichen Orten auffinden, bevorzugt auf trockenen Wiesen und an Wegrändern. Das vielseitige Heilkraut war – neben wildem Kümmel – auch den Menschen der Hallstattzeit bereits bestens bekannt.
Dieses Mal entdeckte Maja (12) das Kraut nahe unseres Jausenplatzes.
Einmal gekonnt die kleinen Blätter zwischen den Fingern gerieben und das Odeur eingeatmet nickte sie auf die fragenden Blicke ihrer jüngeren Brüder und fing gleich an, eine Handvoll einzusammeln. „Thhhümmathhhaaaan“, stimmte Merlin (3) eifrig zu.
Was wir im hallstattzeitlichen Winter wohl dazu gegessen hätten? Linus (9) war mit mir einer Meinung: Kaninchen. Maja beharrte darauf, dass sich sicher auch etwas Vegetarisches hätte finden lassen. „Hmmm, drei Wochen kommt man ganz ohne Essen aus“, erinnerte sich Linus. Ich sehe das als „Vegetarier-Veteranin“ pragmatisch. Winter plus am Hungertuch nagende Familie ist gleich Pfeil und Bogen. Voller Demut und Dankbarkeit würde ich unter diesen Voraussetzungen das Leben eines Tieres nehmen, das bis dahin in Freiheit leben durfte. Oder meines geben, wenn ich mich der Kunst des Überlebens nicht würdig erwiese. Unser fiktives Kaninchenopfer der Hallstattzeit wurde aber schon am Heimweg gleichermaßen fiktiv gerettet. Wir hatten die vertrockneten Blattreste von Nachtkerzen aus dem Schnee ragend entdeckt – bei nicht mehr ganz so hart gefrorenem Boden hätten uns ihre Wurzeln gewiss wohlgenährt.
Zurück in der Zivilisation stellten sich diese Fragen nicht. Lächerlich einfach, nahezu banal, waren der Gang in den Vorratskeller sowie das Kochen von Reis und Fenchel-Karotten-Gemüse. Eine simple Alltagsmahlzeit, kaum der Rede wert in Zeiten wie diesen, wäre da nicht die Prise „Steinzeit-Gefühl“ in der Form kleiner Thymian-Blätter auf dem Gericht gewesen.