ITALIEN/TOSKANA – LeoNERDo da Vinci
Mit dem heutigen Tag ist der Herbst endgültig in Österreich angekommen. Frischer Herbstwind mischt sich mit kalten Regentropfen, die Luft riecht nach feuchter Erde und das dumpfe Licht lässt einen seltsam müde werden. Perfektes Wetter also, um euch noch den letzten Bericht unserer Toskana-Rundreise nachzuliefern, bevor die Erinnerung daran allzu sehr verblasst.
Während riesige Touristenmassen nach Florenz pilgern, um möglichst innert drei Stunden einem Reiseleiter mit Regenbogenschirm folgend die Uffizien, den Palazzo Vecchio, den Dom und zwanzig weitere Sehenswürdigkeiten abzuklappern, die obligaten Bilder an den vorgesehenen „Foto-Points“ zu schießen und anschließend Wienerschnitzel in einer typisch mediterranen Trattoria zu essen, liegt das kleine Dörfchen Vinci fast vergessen inmitten der hügeligen Landschaft. Dabei sind hier die Geschichte und seine Protagonisten in meinen Augen noch spürbarer als in der gewiss wunderschönen, aber irgendwie auch arrogant daherkommenden Hauptstadt der Toskana. Bedenkt man, dass vor über fünfhundert Jahren ein kleiner Genius mit möglicherweise schmutzigen Füßen und ungewaschenen Ohren durch die Olivenhaine Vincis lief, bevor man seine Talente, seinen Erfindungsreichtum und seine Beobachtungsgabe erkannte, so wird ein Aufenthalt im Dorf zu einer ganz besonderen Zeitreise in die Vergangenheit.
Während der Rest der Familie die Stunden nach der Anreise in unserem Appartment verbrachte, zog ich in den Abendstunden noch einmal los, um die kleinen Gassen und verborgenen Winkel Vincis zu erkunden.
Leonardo da Vinci war allgegenwärtig, mal klassisch, dann wieder kitschig oder modern in Szene gesetzt. Der Ort strotzte förmlich vor Stolz auf seinen wohl berühmtesten Bürger aller Zeiten.
In Majas Geschichtebuch für die 3. Klasse ist von alldem kaum etwas zu spüren. Auf zwei Seiten werden lieblos und in schwarz-weiß einige Fakten hingeknallt, die sie dann im Rahmen der Externistenprüfung möglichst vollständig rezitieren soll. Zeit, Zusammenhänge herzustellen oder Hintergründe zu beleuchten, bleibt im Rahmen dieser „Feststellung der Gleichwertigkeit des häuslichen Unterrichts“ natürlich nicht. Umso mehr erhoffen wir uns einen bleibenden Eindruck unseres Besuchs in Leonardos Heimat bei den Kindern, sodass sie auf das Wälzen ihrer Schulbücher zumindest in Teilen getrost verzichten oder wenigstens einige Seiten weiterblättern können.
Während mein Mann mit dem jüngsten Spross das Erkunden der Wanderwege rund um Vinci bevorzugte, wollte ich mir mit den beiden anderen Kindern drei von vier Museen in Vinci ansehen, die alle Leonardo gewidmet waren. Wir begannen mit dem „Museo Leonardiano“, welches in den Räumen des „Castello dei Conti Guidi“ sowie der „Palazzina Uzielli“ untergebracht war.
Hier ist die wohl größte und schönste Sammlung von Modellen der Maschinen und Maschinenteile zu besichtigen, die Leonardo da Vinci entworfen hatte.
Da Vinci war schon unter seinen Zeitgenossen als Universalgelehrter bekannt. Als Sohn eines Notars und einer Magd hätte er sich nach seiner frühen künstlerischen Ausbildung in Florenz ganz der Malerei widmen können. Doch war Leonardo auch durch und durch Ingenieur und bot seine Dienstleistungen unter anderem den Sforza, den Herren Mailands an. Er erstellte Konstruktionszeichnungen für eine für damalige Verhältnisse äußerst moderne Militärtechnik.
Viel besser als da Vincis Kriegsmaschinen gefielen den Kindern verständlicherweise dessen Fluggeräte. Die Kraft der Elemente soll auf da Vinci eine unsagbar große Faszination ausgeübt haben. Die Idee des „großen Vogels“ war zwar zur Zeit da Vincis schon 200 Jahre alt und stammt somit gar nicht von ihm selbst. Jedoch soll er dieses Fluggerät tatsächlich gebaut und ausprobiert haben. „Zum ersten Mal wird der große Vogel sich erheben, vom Rücken des gewaltigen Schwans aus. Erfüllen wird er die ganze Welt mit Staunen und alle Schriften mit seiner glorreichen Tat, zum ewigen Ruhm des Nestes, wo er geboren ward“, schrieb er in sein Notizbuch. Man geht allerdings davon aus, dass der Versuch fehlschlug. Zumindest gibt es keine weiteren Aufzeichnungen dazu.
Natürlich fanden wir auch ein Modell der Leonardo-Brücke, einer transportablen Brückenkonstruktion, die durch seine Flechtstruktur ohne weitere Fixierungen auskommt. Auch hier argumentierte Leonardo da Vinci in seiner Zeit (dem ausgehenden 15. bzw. beginnenden 16. Jahrhundert) militärisch und erhoffte sich die Freigabe finanzieller Mittel, um seine Konstruktionen in die Realität umsetzen zu können.
Mittlerweile war es elf Uhr am Vormittag geworden. Linus wollte unbedingt den Turm des „Castello“ besteigen. Gesagt, getan. Maja wartete indessen im Museum.
Anschließend spazierten wir wenige Meter zum zweiten Ausstellungsort des Museums, in welchem weitere Modelle seiner Konstruktionen gezeigt wurden.
Im oberen Geschoss der „Palazzina Uzielli“ drehte sich alles um Malerei und Kunst, was insbesondere für Maja (13) von Interesse war.
Zuguterletzt – in der Zwischenzeit waren mein Mann und Merlin (4) wieder zu uns gestoßen – machten wir uns noch auf den Weg zu Leonardos Geburtshaus und stellten uns vor, wie das Leben damals wohl für ihn gewesen sein mochte. Welche Gespräche waren hier wohl geführt, welche Streitigkeiten ausgetragen, welche Ideen geboren worden? Unsere Köpfe waren jedenfalls voller faszinierender Bilder, die uns in unsere Heimat begleiten sollten.