Von Wackeltürmen und Rechensternen
Sich das grundlegende mathematische Verständnis für das kleine Einmaleins spielerisch anzueignen, machte eigentlich allen unseren Kindern viel Spaß. Ob es für den Alltag europäischer Bürger zwingend erforderlich ist, die Aufgaben auch zu automatisieren und entsprechend schnell abrufen zu können, darf diskutiert werden. Allemal ist das rasche Lösen von Einmaleinsaufgaben für die meisten erwachsenen Zeitgenossen in Europa zumindest praktikabel, gewiss aber nicht essentiell. Man bedenke, dass beispielsweise die Warlpiri (ein Volk der australischen Aborigines) keine Zahlwörter außer „eins“, „zwei“, „wenige“ und „viele“ kennen und dennoch einfache Rechenaufgaben schätzend lösen können, ohne es gelernt zu haben. Eine Studie aus dem Jahr 2007 kam vor diesem Hintergrund zum Schluss, dass Menschen über ein angeborenes System zur Repräsentation von Mengenverhältnissen verfügen dürften https://www.nature.com/articles/nature05850 Dürfen wir uns vor diesem Hintergrund anmaßen, neunjährige Kinder, deren Begabungen außerhalb des mathematischen Bereichs liegen, so lange zu drillen, bis sie hundert Einmaleinsrechnungen in zehn Minuten lösen können? Wer von uns weiß schon, ob unser Kind seine Erfüllung im Ingenieurswesen oder in der Kunst finden wird? Und wer von uns weiß schon, ob just der Ingenieur, der vermeintlich über mathematische Fähigkeiten verfügen muss, für die Umsetzung der „Allesmachmaschine“ aus den Träumen seiner Kindheit nicht eher räumliches Vorstellungsvermögen benötigen und die Geschwindigkeit (nicht die dahinterliegende Logik) der Lösung einer simplen Multiplikation in den Hintergrund treten wird?
Wie immer hegen wir für unsere Kinder einfach nur den Wunsch, ihnen Möglichkeiten des lustvollen Lernens aufzuzeigen, frei nach dem Grundsatz „Lernen mit Begeisterung“, der wesentlich von Prof. Dr. Gerald Hüther geprägt worden war. Von Beginn an weigerten wir uns, unsere Kinder Malreihen stur auswendig lernen zu lassen, selbst wenn das der eine oder andere Prüfungslehrer im Vorfeld zur Externistenprüfung als unabdingbar betrachtete. Stattdessen offerieren wir ihnen vor allem in jungen Jahren die unterschiedlichsten Spiele und Materialien, die angenommen werden können oder eben auch nicht. Denn schlussendlich kommt es bei der Automatisierung von Fertigkeiten einerseits auf die Häufigkeit der Wiederholungen, andererseits aber auch auf den Begeisterungsfaktor an, den eine Lernumgebung auszulösen imstande ist. Damit möchte ich nicht sagen, dass das Auswendiglernen von Malreihen für alle Kinder der falsche Weg ist. Hie und da mögen Kinder die damit verbundene Gedächtnisanstrengung als positive Herausforderung betrachten, wie es unser ältester Sohn tat, als er 50 Nachkommastellen der Zahl PI auswendig lernte. In diesem Fall wird jedoch das Auswendiglernen von Malreihen vom Kind gewiss nicht als Drill, sondern als Spaß aufgefasst.
Ein Brettspiel, das unseren Kindern zur Verfügung steht, ist das Spiel „Abenteuer 1×1“ von „HABA“.
Noch mehr Spaß bereitet ihnen aber das Wackelturm-Einmaleins. Die Anleitung und die Rechenkärtchen für dieses Spiel kann man digital hier erwerben und selber basteln https://eduki.com/de/material/155237/rechnen-mit-dem-wackelturm-einmaleins-lernspiel Zusätzlich benötigt man farbige Holzbausteine im „Jenga“-Stil und einen passenden Farbwürfel.
Das Tolle an beiden Spielen ist die Möglichkeit, jeweils ein kooperatives Spiel daraus zu machen. Somit lässt es sich auch von Kindern (und Erwachsenen) spielen, die in unterschiedlichen Altersstufen und Mathe-Niveaus beheimatet sind.
Linus (9) schreibt sich die Aufgaben auch gerne auf und bemalt die Kästchen in der jeweiligen Würfelfarbe.
Dass uns das Einmaleins ohnedies im Alltag überall begegnet, zeigte ich schon in einem kürzlichen Beitrag https://belinda.amplatz.today/freigeist/erst-einmaleins-dann-viermalvier-dann-steht-das-christkind-vor-der-tuer/ Ich bin der Überzeugung, dass einige Menschen (unsere 13jährige Tochter zum Beispiel) Mathematik vor allem über Bilder im Kopf begreifen. Dies versuchen wir als Eltern zu unterstützen, indem wir entsprechende Rechenaufgaben in der realen Welt der Kinder visualisieren. Wer das Gefühl hat, in diesem Ansatz auch sein Kind wiederzuerkennen, dem seien auch sogenannte „Rechensterne“ ans Herz gelegt. Wir haben eine sehr hochwertige Variante eines Tischlers gekauft und damit ein regionales Kleinunternehmen unterstützt. Die Kinder können aber solche Rechensterne auch ganz einfach aus Wolle und Karton oder Holz selber basteln.
Ich hoffe, wir konnten euch ein paar Anregungen mit auf den Weg geben, die euren Kindern Lust auf das Einmaleins machen. Und wenn nicht, dann eben nicht. Immerhin braucht die Welt auch Sänger, Gärtner, Maler, Maurer, Schriftsteller und vieles mehr!