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DEUTSCHLAND – O Sole mio …

Zwischen dem Chiemsee im Westen, dem Rupertiwinkel im Osten und den Chiemgauer Alpen im Süden liegt das geschichtsträchtige bayerische Städtchen Traunstein, Heimat sowohl der Schul- als auch der Volksharfe unserer Tochter. Im Geburtsjahr meines Mannes hatte Karl Fischer sen. mit dem Harfenbau am Standort des Musikhauses Fackler begonnen, das heute von seinem Enkel Thomas in fünfter Generation geführt wird. Dreitausend heute über die ganze Welt verstreute Fischer-Harfen hatten hier ihre Geburtsstätte. Rund 125 Arbeitsstunden sind erforderlich, um die neunhundert Bauteile einer Harfe von Hand zu einem so himmlischen Saiteninstrument zusammenzusetzen.

Musikhaus „Fackler“ in Traunstein (links), mittig im Bild der 1998 neu errichtete „Jacklturm“

Die Stadt Traunstein selbst erlebte ihre Blütezeit als Handelsmetropole und Salinenstadt im Mittelalter. Dass das Weiße Gold eine Rolle in der Historie der Region spielte, lässt sich aus den Ortsnamen nahe liegender Siedlungen erkennen: Bad Reichenhall und Hallein tragen das etymologisch interessante „Hall“ im Namen, dem im Bereich der Ostalpen die Bedeutung „Saline“ zugeschrieben wird, währenddessen im norddeutschen Raum eher ein Zusammenhang mit dem germanischen Wort für „Abhang“ als gesichert erscheint. Vor allem durch den großen Brand des Jahres 1851 erinnert das heutige Stadtbild Traunsteins aber nicht mehr an das von einst.

Die Stadtpfarrkirche St. Oswald entspricht im Wesentlichen noch der im 17. Jhdt. errichteten Wandpfeilerkirche. Dachstuhl und Fresken wurden aber nach dem großen Stadtbrand neu errichtet bzw. geschaffen.
Der „Lindl“ – ein Waffenträger in mailändischer Rüstung – schmückt den gleichnamigen Brunnen Traunsteins.
Anders als in unserer Heimat wird in Traunstein nur alle drei Jahre ein Maibaum aufgestellt. Um an regional bedeutsame Handwerksberufe zu erinnern, werden hier entsprechende Schilder angebracht.
Der ursprüngliche „Jacklturm“ war Teil der Ringmauer und diente der Stadtbefestigung. Nach der letzten großen Feuersbrunst wurden die Reste des Turms abgerissen und erst vor etwa dreißig Jahren neu errichtet.

In Traunstein selbst wurde zwar zu keiner Zeit Salz abgebaut; den Ausschlag für den Bau einer Saline und einer mehr als dreißig Kilometer langen Sole-Pipeline von Bad Reichenhall in die Stadt gaben letztendlich die schier endlosen Holzvorkommen am Oberlauf der Roter und der Weißen Traun sowie die Tatsache, dass die Flussläufe für die Trift ausschließlich auf bayerischem Gebiet lagen und somit leichter zu verteidigen waren. Das Salzgeschäft war lukrativ, und deshalb scheuten die Herzöge auch nicht vor Enteignungen, einem Importverbot für Halleiner Salz und der Errichtung eines Staatsmonopols auf den Salzhandel zurück.

Einige Original-Holzrohre („Deichel“) der ursprünglichen Soleleitung lassen sich am Moor-Erlebnispfad im nahe gelegenen Inzell besichtigen. Rund vier Meter lange Fichten- oder Tannenstämme wurden von Hand durchbohrt und oft jahrelang in sogenannten Deichelbeizen eingelegt, um ein Reißen des Holzes zu verhindern.

Anfangs waren die Holzrohre noch mit einem muffenartig ineinandergesteckten Innen- und Außenkonus versehen. Die Stoßstellen wurden dabei mit Hanffäden abgedichtet, die zuvor mit Kalkmörtel getränkt worden waren.

Ganze neuntausend Holzstämme waren für den Bau dieser Soleleitung erforderlich. Schweiß, Blut und ein karges Leben waren Alltag sowohl der Holzknechte als auch der Wasserleitungsbauer.

Wie so oft verlor ich mich während unserer Moorwanderung in meinen Gedanken an die unglaubliche Schaffenskraft der Menschen. Bäume fällen, Klausen errichten, Unterstände bauen, Torf stechen, Feuer machen, Holzstämme aushöhlen, Brot backen, Holzkohle herstellen, Bäume fällen, …

… Unterstände bauen, …

… Torf stechen, „Maaamaaa, schau mal, diese Raupen kennen wir ja!“, …

… Feuer machen, Holzstämme aushöhlen, astfreie Fichte, Holzstämme aushöhlen, aber diese astfreie Fichte, Resonanzboden herstellen, …

… Harfen bauen.

Selig lächelnd löste unsere Tochter ihre Harfe von der Schulter und senkte sie ab, nachdem sie „Das Phantom der Oper“ in einer urigen Bauernstube in Inzell gespielt hatte. Die Mechanik lief wieder wie geschmiert, die H-Saiten klangen klar und hell, die Pedale ließen sich problemlos eintreten. Nach dem „Wellness-Aufenthalt“ in der Fackler’schen Werkstatt machte Maja (15) das Spielen wieder Spaß. Und das Fichtenholz, aus dem vor vierhundert Jahren möglicherweise eine Deichel für den Soletransport entstanden wäre, nahm nun als „Seele“ des Instruments die Schwingungen der gezupften Saiten auf, verstärkte und übertrug sie auf den Korpus, die umgebende Luft und gelangte als wohlklingende Musik und Repräsentantin der Kreativität der Menschheit an unser Ohr, wo die Geschichte widerhallte …

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