
KÄRNTEN – Alpine Stilikone
Eigentlich hatten Linus (11) und ich uns ambitioniert vorgenommen, nach den Externistenprüfungen bis in den Herbst hinein zehn Kärntner Gipfel gemeinsam zu erklimmen. Es kam anders. Ein schrecklich verregneter Juli und zusätzliche sowohl vorausgeplante als auch spontane Wochenendausflüge und Treffen mit Freunden und Bekannten ließen recht schnell unser Ziel selbst bei bestem Willen als zu hoch gegriffen erscheinen. Einen einzigen Gipfel schafften wir. „Schwåch ångfångan und stoak nåchglåssn“, würden wir Kärntner sagen. „Oder aztekisch gezählt“, könnte Linus entgegnen, der ja ein Faible für Mexiko und seine Axolotl hat. In der dort mexikanisch-indigenen Sprache „Nahuatl“ gibt es das Wort „cē“, das dem deutschen „zehn“ phonetisch unglaublich ähnlich ist, praktischerweise aber „eins“ bedeutet. Alles also nur eine Frage des geografischen Standortes … und der Fähigkeit zur Schönrederei 😉
Jedes unserer Kinder ist auf seine Art besonders. Und besonders liebenswert. Müsste ich unseren Drittgeborenen mit fünf Worten beschreiben, so wählte ich „Komiker“, „Naturbursch“, „Frechdachs“, „Zylinderliebhaber“ und „Feingeist“. In meinen Augen hat er hinsichtlich der Familiendynamik die schwierigste Ausgangssituation. Seine drei Geschwister sind entweder das älteste Kind, das einzige Mädchen oder das Nesthäkchen der Familie. Daher verwundert es nicht, wenn Linus ganz besondere Strategien zur Positionierung entwickelt. Dabei stellt er uns Eltern auch immer wieder vor neue Herausforderungen, lässt uns damit aber gleichzeitig an uns selbst wachsen. Beispielsweise ist mein Geduldsfaden durch ihn bereits zu einem dicken Seil verzwirnt, von hundert rückwärts zähle ich inzwischen schon im Schlaf und immer häufiger bleibe ich auf der Holzbank unter der Palme meditierend (oder hypnotisiert – ganz, wie ihr wollt) sitzen anstatt mich von ihm auf sie bringen zu lassen. Was mir klar geworden ist: Wenn eine Situation mit dem Jungen zu eskalieren scheint, lohnt es sich, mit ihm an die frische Luft zu gehen und einen Spaziergang zu machen. Oder eine Wanderung. Was mir auch klar geworden ist: Wenn wir gemeinsame Spaziergänge oder Wanderungen unternehmen, kommt es von vornherein viel seltener zu eskalierenden Situationen. Und das Beste daran ist, dass es auch noch richtig Spaß macht, mit Linus in der Natur unterwegs zu sein, weil er Ausdauer und dabei wahlweise ein Lied oder einen lustigen Schmäh auf den Lippen hat.
Aufgrund der Tatsache, dass das Wetter im Frühsommer meist stabil ist und Gewitter nicht allzu plötzlich daher kommen, hatte ich für unseren Gipfel Nr. 1 entschieden, dass extra frühes Aufstehen wohl überflüssig sein dürfte. Um halb acht Uhr setzten wir uns ins Auto und fuhren zum Ausgangspunkt unserer Wanderung. Westlich des Afritzer Sees ging es entlang der Mautstraße auf den Lierzberg und von da zur Wieser Alm auf etwa 1.600 m Seehöhe. Das Wetter musste einem Bilderbuch für Wandersleut‘ entsprungen sein. Azurblauer Himmel und klare Sicht erfreuten uns, und so marschierten wir kräftigen Schrittes voran.

Die Höhenmeter knackten wir gleich am Anfang unserer Tour. Es ging gefühlt senkrecht hinauf Richtung Rindernock, was unseren Puls ordentlich in die Höhe trieb und unseren anfangs entspannten Atem in ein angestrengtes Schnaufen verwandelte. Jeden noch so kleinen Baumschatten nutzten wir für eine kurze Rast, vielmehr aber, um der zunehmend heißer werdenden Sonne kurz zu entkommen.




Als wir endlich am Bergrücken des Mirnock-Bergmassivs angekommen waren, war der anstrengendste Teil unserer Wanderung auch schon geschafft. Sanfte Kuppen und satte Almwiesen prägten hier oben das Bild. Linus (11) hatte keine Lust, den Rindernock zusätzlich und nur um des zweiten Gipfelkreuzes willen zu „bezwingen“. Wir wollten lieber eine kleine Jausenrast einlegen und das Panorama genießen, bevor wir uns auf den Weg zum eigentlichen Ziel, dem Mirnock selbst, machen wollten.


Die weißen Rinder schauten uns beim Jausnen wiederkauend zu.

Frisch gestärkt und voller Motivation packten wir unsere Rucksäcke und setzten unseren Weg entlang des Kamms fort.

Es dauerte nicht lange, als wir den ersten Blick auf den Millstätter See erhaschten.

Blau glitzernd breitete sich Kärntens tiefster See unter uns aus, majestätisch und sagenumwoben, während sich in weiter Ferne die Tauern mit ihren immer noch schneebedeckten Spitzen emporhoben. Wie unbeschreiblich schön ist doch unsere Heimat!

Das Mirnock-Gipfelkreuz war schon zum Greifen nah.


Erstaunt und lachend stellten Linus (11) und ich fest, dass sich augenscheinlich alle Fliegen des Bundeslandes just um unser Ziel-Gipfelkreuz versammelt hatten. Es summte nur so um uns herum – das tapfere Schneiderlein hätte seine helle Freude daran gehabt und locker siebzig auf einen Streich erwischt. Dem grandiosen Ausblick konnte das keinen Abbruch tun.



Nachdem wir den Gipfelmoment ausgiebig ausgekostet hatten, machten wir uns daran, die Runde zu vollenden.



Vorbei am Türndl und Richtung Bodeneck zog es uns regelrecht zur Hochalmhütte, wo wir uns noch einmal stärken wollten.


Der Abstieg war gar nicht so ohne und das Gefälle definitiv nichts für kaputte Knie. Wir hatten allerdings unseren Spaß daran.



In meinem Kopf war unserer Wanderung an diesem Punkt eigentlich abgeschlossen. Erwartet hatte ich, dass wir einem anspruchslosen und langweiligen Schotterweg zurück zum Ausgangspunkt folgen würden. Weit gefehlt! Der ausgeschilderte und wahnsinnig idyllische und angenehm schattige Pfad T2 war abwechslungsreich, kurzweilig und einfach perfekt für den Rückweg.

Wir beendeten unsere Wanderung mit einem zufriedenen und glücklichen Lächeln am frühen Nachmittag, es muss wohl gegen drei Uhr gewesen sein.

Für alle, die in Erwägung ziehen, diese Tour mit ihren Kindern nachzumachen:
Distanz: ca. 11,5 – 12 km
Dauer (mit bergerfahrenen Kindern unter zwölf Jahren und ausreichend Pausen, aber gemütlichen Schrittes): etwa 7 Stunden
Höhenmeter aufwärts: rd. 500 hm (irgendwann muss man natürlich noch mal zusätzlich 500 hm runter)
Prädikat: sehr empfehlenswert
potentiell damit vermiedene Eskalations-Situationen: unzählige

