Der steinige Weg zu artgerechter Bildung
Meine Ziele sind hochgesteckt. Das weiß ich. In meiner Idealvorstellung passiert Bildung ausschließlich durch Begeisterung und den eigenen inneren Impuls, etwas wissen oder können zu wollen. Ich stelle mir oft vor, wie es wohl wäre, wenn es – wie ich es nenne – „Mentoren-Leuchtfeuer“ überall auf der Welt gäbe, die rund um die Uhr für jeden zugänglich wären. In meinem Kopf formt sich dabei ein Bild unterschiedlichster Wohnräume, Ateliers, Werkstätten, Labore, Erdkeller, Waldhütten, Bibliotheken und Sternwarten. An jedem dieser Orte lebt jemand, der für seine Sache, für sein Thema brennt und unvoreingenommen bereit ist, sein Wissen, seine Erfahrung, seine Expertise an alle Interessierten weiterzugeben, egal ob Kinder, Jugendliche oder Erwachsene. Es sind Orte des Austauschs und des Konflikts, Orte der Diskussion und des Experiments. Und die Türen dieser Orte stehen immer dann offen, wenn der Mentor dazu bereit ist – an bestimmten Tagen, zu bestimmten Uhrzeiten, ggf. aber auch 24 Stunden am Tag, 7 Tage die Woche.
Die Praxis sieht anders aus. Und nicht nur das: Die Lage verschlimmert sich.
Vor der Corona-Pandemie empfand ich den häuslichen Unterricht in Österreich als zarte Knospe, die das Aufblühen meiner gedanklichen „Mentoren-Leuchtfeuer“ in einer nicht allzu weit entfernten Zukunft ermöglichen könnte.
Kaum jemand kannte die Möglichkeiten, die wir hierzulande haben. Aber alle waren aufgeschlossen und neugierig. Der Austausch und die Beziehung mit den Schulen, den Prüfungslehrern und der Bildungsdirektion war gut, bereichernd und voller Wertschätzung – für beide Seiten.
Seitdem im Sommer 2021 – überwiegend verursacht durch die Corona-Maßnahmen der Regierung – plötzlich ein Vielfaches an Anzeigen zum häuslichen Unterricht bei den Bildungsdirektionen einging als es üblicherweise der Fall war, nahm das Schicksal seinen Lauf. Die Politik begann, auf der Knospe herumzutrampeln und will sie heute am liebsten samt der Wurzel ausreißen, in eine Ecke werfen und vertrocknen lassen.
Mit allen Mitteln wird seit Monaten versucht, den Familien, die sich für diesen Weg entschieden haben, das Leben schwer zu machen. Im Oktober 2021 wurde die freie Wahl der Prüfungsschule mittels Verordnungen abgeschafft und wich einer wohnsitzabhängigen Zwangszuweisung ohne Möglichkeit einer Versetzung. Man führte ein Reflexionsgespräch ein, angeblich, um den Kindern und Eltern eine Lernstandsorientierung zu geben. Erstaunlicherweise fand das Gespräch aber nicht an der Prüfungs-, sondern an der Sprengelschule statt und sollte lt. mündlicher Auskunft aus internen schulisch-pädagogischen Kreisen sehr wohl auch dem Abfragen der politischen Gesinnung dienen. Ein pikantes Detail am Rande: Nimmt man ab dem nächsten Schuljahr an diesem heuer noch freiwilligen Reflexionsgespräch nicht teil, so kann das hinkünftig ein Grund für die Abweisung der HU-Anzeige (HU = häuslicher Unterricht) sein. Kurz vor den Semesterferien meldete sich dann der Österreichische Lehrerbund ÖLB zu Wort und sprach davon, dass eine spezielle Kommission an den Bildungsdirektionen die Externistenprüfungen abnehmen werde – die Prüfungsschulen können diese Aufgabe nicht übernehmen. Zwei Wochen später berichtigte der Zentralausschuss für allgemeinbildende Pflichtschulen in Kärnten diese Aussage. https://za.ksn.at/index.php/134-za-infos/2021-2022/546-stellungnahme-der-pv-zur-externistenpruefung
Fragte man Ende März 2022 an den Prüfungsschulen nach, ob es nun bereits Informationen über die genauen Abläufe gebe, so wurde dies verneint. Man wisse selbst noch gar nichts. Aber: „Machen Sie sich einfach keine Sorgen.“ Eh nicht. Es sind ja noch ganze 9 Wochen bis zum Beginn der Externistenprüfungen.
Stattdessen wurden wir mit Formularen nur so überschwemmt: Anmeldung zur Aufnahme an der Prüfungsschule, Rückmeldung zum Reflexionsgespräch, Anmeldung zur Externistenprüfung, Bestätigung des Erhalts der Gebührenbestimmungen usw. Mir scheint, als wolle man jeden Moment des Innehaltens mit sinnentleerter Administration stopfen, um sich nur ja nicht inhaltlich mit der Kritik am Bildungswesen selbst auseinandersetzen zu müssen. Dabei ist es doch genau diese, die immer mehr Familien zum Handeln drängt. Denn eines ist klar: Unser Bildungswesen pfeift aus dem letzten Loch. An allen Ecken und Enden fehlt Personal, die Klassengruppen sind viel zu groß, Vereinheitlichungen und Normierungen sowie die Lehrpläne per se schaffen mehr Probleme als sie lösen, der Umfang des zu Lernenden und die starren Inhalte erdrücken die Kinder und Jugendlichen, schränken sie in ihrer individuellen Entwicklung ein und verhindern ihre Spezialisierung auf jene Bereiche, für die sie Begeisterung aufbringen können. Zeitgleich ist es in Mode gekommen, schöne Worte in leere Worthülsen zu verpacken und der Bevölkerung verschimmeltes Brot für duftenden Kuchen zu verkaufen.
Ein Erdbeben macht sich in diesem Sektor bemerkbar. So mancher Ziegelstein hat schon ordentliche Risse davongetragen. Noch versucht die Politik, diese Risse durch ausgesandte Dilettanten kitten zu lassen. Statt gelernte Maurer gut zu bezahlen, die die „Säulen der Bildung“ wieder einwandfrei instandsetzen könnten, bleibt das Geld allerdings beim „Immobilienmogul“ und den Maurern wird gekündigt. Möglicherweise wird das Erdbeben auch so stark, dass die Mauern gänzlich zusammenbrechen und nur Schutt und Asche übrigbleiben. Wer weiß? Ich hoffe, dass jedenfalls unsere beginnende Glut eines „Mentoren-Leuchtfeuers“ bestehen bleiben, sich zu einem Feuer entfachen und beim Wiederaufbau Licht spenden kann.