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DEUTSCHLAND – Oooooobacht! Baum fäääääällt!

Die Familiengeschichte meines Mannes liest sich wie so viele aus der Zeit des zweiten Weltkrieges: Flucht, Propaganda, dem Krieg zum Opfer gefallene Zivilisten und Soldaten, Trauer, Traumatisierung und dennoch Kraft und Hoffnung um weiterzumachen. Mein Schwiegervater, Sohn einer italienischsprachigen Südtirolerin aus Gresta und eines deutschsprachigen Südtirolers aus der Kaltenbrunner Gegend und Bruder vierer Geschwister erblickte kurz vor Ausbruch des Krieges das Licht der Welt. Mussolinis Plan der Italianisierung und Umvolkung der deutsch-ladinischen Bevölkerung führte zur Vertreibung zehntausender Südtiroler, darunter auch jene seiner Familie, die mit Aussicht auf eine Anstellung nach Österreich auswanderte. Nach einem Bombenangriff der Engländer im Gailtal kehrte der Vater meines Schwiegerpapas nicht mehr nach Hause zurück. Die Mutter musste sich mit dem „Tschippel Kinder“ selbst durchschlagen. Ohne harte Arbeit, auch für die Kinder selbst, wäre nicht einmal Sterz auf den Teller gekommen. In seinen jungen zwanziger Jahren verdingte sich mein Schwiegervater als Holzknecht.

Nachdem in Traunstein die Volksharfe unserer Tochter wieder instandgesetzt worden war, blieben wir noch kurze Zeit in der Region. Das Wetter war wechselhaft für Ende August, und die Launen der Familienmitglieder passten sich der Witterung an. Der abrupte Wechsel von Regenschauern und sengender Spätsommerhitze fühlte sich wie ein sich wiederholendes Missverständnis an und spiegelte sich in den kleinen und etwas größeren Streitereien und Unstimmigkeiten zwischen den Familienmitgliedern wider. Es war, als neigte sich ein langer Sommer dem Ende zu und niemand wollte es so richtig wahrhaben.

Dass es im nahegelegenen Ruhpolding ein „Holzknecht-Museum“ gab, stellten wir ganz spontan und erst vor Ort fest.

Sich mit den Mühen vergangener Zeiten zu beschäftigen, hilft mir, die vielen kleinen Alltagsherausforderungen und Querelen einer im Grunde friedlichen Zeit als solche zu betrachten und aus den Elefanten wieder die Mücken zu machen, die sie eigentlich sind.

Dass wir auf dem Gelände für so wenig Eintrittsgeld so viel geboten bekommen würden, hätten wir uns auf dem Weg dorthin nicht gedacht. Die Jungs (11 und 6 Jahre alt) wurden gleich freundlich mit Rätselheftchen und Stiften ausgestattet und begaben sich auf der Suche nach Antworten sogleich zur interaktiven Dauerausstellung.

Der erste Ausstellungsbereich widmete sich vor allem dem Alltagsleben der Holzknechte und den Methoden des Holztransports aus dem Forst.

Der sogenannte Schlittenbringung im Winter war Schwerarbeit und zudem gefährlich. Mit bis zu zwei Tonnen schwerer Last musste die Talfahrt gemeistert werden.
Am Freigelände wurde eine sogenannte „Loite“ – eine Holzrutsche für den Abtransport von Baumstämmen im Steilgelände – nachgebaut.
Im Rahmen der Dauerausstellung konnten die Kinder selbst eine Modell-Loite bauen und ausprobieren, wie gut sich damit die Mini-Baumstämme nach unten transportieren ließen.
Die Hörgeschichten über den kurfürstlichen Triftmeister Veit Oberhauser fand auch unser jüngster Spross interessant.
Historische Karte der Triftbäche, Klausen und sonstigen Verwehrungen im Gebiet rund um Traunstein

Der zweite Ausstellungsbereich beschäftigte sich mit den technischen Neuerungen der Forstwirtschaft im 20. Jahrhundert. Mein Schwiegervater hat selbst Geschichten parat, die davon erzählen, wie die Zweihandsäge quasi über Nacht von der Stihl-Zweihand-Motorsäge ersetzt wurde und wie rasant sich dadurch das Wesen der Holzernte veränderte.

„Bergkuli“ (motorgetriebene Seilwinde) aus der Zeit der 1950er Jahre

Am weitläufigen Freigelände hatte man Gelegenheit, die unterschiedlichsten, liebevoll restaurierten Behausungen der Holzknechte zu besichtigen.

Blockhäuser dieser Art wurden gewiss nicht vom einfachen Holzknecht bewohnt.

Die Frauen der Holzknechte arbeiteten im Frühjahr oft als Pflanzerinnen im Forst, widmeten sich aber auch dem Gemüseanbau.
Größere Bauernhöfe hatten Backhäuser dieser Größe. Alle zwei Wochen wurden hier etwa 20 Laibe Brot gebacken. Mit der Restwärme wurde Obst gedörrt. Im überdachten Vorraum fand man nicht nur Schutz vor dem Wetter, sondern wusch auch die Wäsche.
In den festen Winterstuben lebten bis zu acht Holzknechte. Sie lagen in der Regel entlang der Ziehwege, sodass die Knechte in der kalten Jahreszeit Brennholz mit dem Schlitten heranschaffen konnten.
Oft wurden Pferde direkt neben der Wohn- und Schlafstube untergebracht.
Der „Rindenkobel“ war sicher die einfachste Art der Behausung und diente üblicherweise nur als temporäre Sommerunterkunft.
Feuerstelle im Rindenkobel

Zu guter Letzt gab es auch noch eine sehenswerte Kunstausstellung, die vor allem das Interesse unserer Tochter weckte.

Nachdem wir viele Stunden im Holzknechtmuseum und dem umliegenden Gelände verbracht hatten, war das Wetter im Außen und im Innen zwar noch immer wechselhaft, aber die großen Stürme hatten sich vorerst gelegt. Hin und wieder dem Leben die Zunge rausstrecken und „bäh“ sagen kann einfach unglaublich befreiend sein. Und es hindert die einzelnen Familienmitglieder – egal, ob groß oder klein – ja nicht, jeglichen Streit wie Kinder zu beschließen mit einem „Wollen wir wieder Freunde sein?“

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