FreiBrief,  FreiGeist,  FreiGepäck

So ein Weich erkennt man gleich

Europa. Sinnbild des Guten. Repräsentant des modernen Westens. Der Kontinent der unbegrenzten Möglichkeiten. Geburtsstätte der Dichter und Denker. Nach Jahren der Entbehrung, des Mangels und des Verlusts in den ersten Jahrzehnten des vergangenen Jahrhunderts stiegen Handel und Industrie Europas – händchenhaltend mit Uncle Sam – in ungeahnte Höhen auf, erkannten die Zeichen der Zeit, weckten und deckten Bedarf und Bedürfnis. Produkte, für die es keine Nachfrage gab, wurden schlicht so in Szene gesetzt, dass der Konsument gar nicht anders konnte, als sie zu begehren – mit freundlicher Unterstützung der ambitionierten Marketingabteilung, die selbst „Daumen-Erweiterungen für immer größer werdende Smartphones“ und „Smart Waste Kitchen Composter“ zu vermarkten imstande ist. Zwischenzeitlich kommt all der Krempl auch nicht mehr aus Europa selbst, sondern größtenteils aus China (16 % des gesamten europäischen Warenverkehrs findet mit dem Reich der Mitte statt und hat sich somit seit der Jahrtausendwende vervierfacht). Dass besonders der Spielzeugsektor geeignet ist, feuchte Träume beim Werbefachmann des Vertrauens hervorzurufen, ist klar. Wir sprechen immerhin von einem dynamischen Markt mit schier unendlichen Möglichkeiten, der zudem laufend davon profitiert, dass der moralisch überlegene Westen ja am Ende des Tages immer nur das Beste für seine Zöglinge will. Und doch kommen mehr und mehr Zweifel ob der Sinnhaftigkeit jenes Konsumrauschs auf, den wir Europäer möglicherweise auch als geeignet erachteten, unsere Weltkriegs-Traumata in einen weichen Nebel zu hüllen. „Die Zügellosigkeit der Wünsche führt nur zur Sklaverei“, schrieb Dostojewski passend in seinen „Politischen Schriften“.

Immer mehr Eltern erkennen demnach, dass noch mehr Dinge nicht automatisch noch mehr Glück bedeuten. Und immer öfter folgt auf ein „Womit können wir deinem Kind denn Freude bereiten?“ ein „Weißt du, am meisten freut sich unser Kind über einen Ausflug mit euch oder über einen kleinen Teil eurer Zeit.“ Für uns ist es etwas Besonderes, wenn wir Erinnerungen schenken dürfen, die praktischerweise auch keiner geplanten Obsoleszenz unterworfen sind.

In unserem Freundes- und Bekanntenkreis finden sich zahlreiche Familien, die schon lange ein nachhaltiges, konsumreduziertes Leben führen und nicht gefährdet sind, dem oben beschriebenen Konsumrausch anheim zu fallen. Für die zehnjährige Tochter einer dieser liebgewonnenen Familien durften wir uns kürzlich einen geeigneten Ausflug anlässlich ihres Geburtstages überlegen.

Unser Weg führte uns nach Kaunz, einer kleinen Ansiedlung von Bauernhöfen am Osthang der Saualpe nahe der weithin sichtbaren Burgruine Griffen. Dort – in Alleinlage – befindet sich der revitalisierte „Sprachmannhof“, der 2010 mit dem „Alpakahof Carinthia“ zu neuem Leben erweckt wurde. https://www.alpakahof-carinthia.at/ Rudi und Susi züchten an einem wahrlich beschaulichen Plätzchen diese tollen, sensiblen Haustiere, lassen die hochwertige Naturfaser in der steirischen „Alpakawollmühle“ veredeln, verkaufen Garn und fertige Produkte aus der eigenen Alpakawolle und bieten zusätzlich kleine Wanderungen mit den Tieren an. Neben dem beschenkten Mädel begleiteten mich meine drei älteren Kinder (16, 13 und 9).

Am Tor zum Hof begrüßte uns Hund „Chilli“ mit freudigem Gebell. Der Nebel hatte sich noch nicht gelichtet, dichte Schwaden waberten an uns vorüber, das Gras war von Reif bedeckt und schimmerte silbern unterhalb des Hofs. Die Kinder zogen ihre festen Bergschuhe an und liefen neugierig zu den Alpakas, die bereits mit übergezogenen, farbenfrohen Halftern an der Heuraufe standen und auf ihren großen Einsatz warteten.

Anfangs erfuhren wir allerlei über die ursprüngliche Heimat sowie Nutzung der aus den wilden Vicuñas domestizierten Alpakas. Auf der Wanderung sollten uns die sechs Hengste des Alpakahofs begleiten: Apollo, Nero, Orion, Eliodoro, Vico und Taifun. Es war eine Freude zu beobachten, wie besonnen und behutsam jedes einzelne der Kinder mit dem ihm anvertrauten Tier umging. Die Wanderung erfolgte langsamen Schrittes und reich an bildhaften Erzählungen der Alpakabesitzer. Einmal schreckte einer der Hengste auf und erschütterte somit die ganze kleine Herde, die kollektiv einen Satz vorwärts machte. Maja (13) ergriff beherzt das Halfter von Linus‘ ausgebüchstem Tier, und rasch kehrte wieder Ruhe ein. Nach einer ganzen Weile erreichten wir den angekündigten Fressplatz der Alpakas, wo sie genüsslich frisches Herbstgras weiden konnten.

Zurück am Alpakahof durften die Kinder die „Neuweltkameliden“ noch füttern und auch die Stuten der Zucht kennenlernen. Susi erklärte uns, dass eine künstliche Befruchtung von Alpakas zwar nicht ganz unmöglich sei, aber jedenfalls eine extrem geringe Erfolgsquote aufweise. Grund hierfür ist, dass der Eisprung der Stuten durch das „Orgeln“ der Hengste während des Deckens hormonell angeregt und ausgelöst wird. Ich freute mich insgeheim, dass man der Natur einfach nicht in jedem Bereich ein Schnippchen schlagen kann.

Zu guter Letzt erfuhren wir in der Wollstube noch so Manches aus dem Bereich der Verarbeitung des wertvollen Vlieses.

Mittlerweile war die Mittagsstunde verstrichen, und strahlender Sonnenschein ermöglichte einen Blick auf die schneebedeckte Koralm. Linus (9) rannte mit seiner Freundin lachend über die Wiesen, während ich mich noch ein wenig mit Rudi und Susi über Gott und die Welt unterhielt. Was für ein schöner Ort! Was für eine bereichernde Begegnung! Und hoffentlich eine bleibende Erinnerung für alle!

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