Es ist noch kein Meister vom Himmel gefallen
Maja (13) liebt es zu malen. Am allerliebsten packt sie seit Monaten ihre Aquarellfarben aus und lässt ihrer Kreativität freien Lauf. Hie und da versuche ich sie zu ermuntern, auch einmal andere Techniken anzuwenden und auszuprobieren. Der Dezember stand daher ganz im Zeichen der „Rastermalerei“ und der „Perspektive“. Ich verrate offen und ehrlich gleich vorneweg, dass beides Frust und Lust verursachte, ersteres aber immer wieder durchaus Oberhand gewann. Über das „Rasterbild“ werde ich in einem eigenen Beitrag berichten. Heute soll es um die ersten Versuche unserer Tochter gehen, Perspektiven nicht nur nach dem Prinzip „Daumen mal Pi“ zu berücksichtigen, sondern zu wissen, was man tut. Nun kommt aber bei heranwachsenden Jugendlichen hie und da (gewiss nur ganz selten) so ein spezielles Besserwisserhormon zum Vorschein, das es jedem noch so wohlgesonnenen Erwachsenen furchtbar schwer macht, die Tore zu neuen Welten zu eröffnen und an den Abenteuergeist, die Geduld sowie den Glauben an die Vorzüge des Scheiterns zu plädieren. In aller Regel quietscht und knarrt das Tor ganz schrecklich, lässt sich kaum bewegen und wird – Augenbrauen bestenfalls hochgezogen – vom Pubertier lautstark ins Schloss zurückgeworfen. Unsere Tochter ist da keine Ausnahme.
Dabei ging es eigentlich nur um meine Empfehlung, ein ausreichend langes Lineal zu verwenden, das es ermöglichen sollte, die Horizont- und die Fluchtlinien richtig einzuzeichnen. Über die Theorie und die Wichtigkeit dieser Hilfslinien hatten wir bereits im Vorfeld gesprochen. Unser Lineal-Disput grätschte sich aber zwischen die sich gerade ausbauenden Gedanken. Ich merkte, dass eine weitere Vertiefung der Theorie mit Knistern im Hintergrund eher kontraproduktiv sein könnte. Immerhin wollten wir ja einfach nur einen kreativen Vormittag miteinander verbringen. Warum also nicht auf Konfuzius vertrauen, der schon vor hunderten Jahren den weisen Ausspruch „Lass es mich tun, und ich werde es können“ getätigt haben soll.
Ich hielt mich also bewusst mit weiteren Kommentaren zurück und ließ sie machen. Das Ziel war, einen Dampfzug mithilfe der Ein-Fluchtpunkt-Technik perspektivisch möglichst korrekt darzustellen. Beispiele waren genug in den Weiten des Internet zu finden, und Maja hatte schon wieder zu ihrer guten Laune zurückgefunden. Sie skizzierte also den Zug auf schwarzem Tonpapier und dachte dabei sogar noch an die erforderlichen Verkürzungen jener Linien, die in die Tiefe und Richtung Fluchtpunkt verliefen, missverstand aber mein Gemurmel in diesem Zusammenhang, das wiederum von meiner Ablenkung durch Majas Bruder zeugte, der zeitgleich an seinem Feuerwerksprojekt arbeitete https://belinda.amplatz.today/freigeist/farbexplosion/
Voller Begeisterung und ohne einen weiteren Gedanken an die Technik per se zu verschwenden, stürzte sich Maja auf die bereit liegenden Pastellkreiden. Endlich kam Farbe ins Spiel!
Man merkte regelrecht, wie das Mädel aufblühte. Ihre Stimmung stieg direkt proportional zur Kreidestaubmenge auf ihren Fingern.
Grüne Polarlichter und ein strahlender Silbermond durchbrachen den Nachthimmel auf Majas Bild.
Mit der Farbgestaltung des Dampfzugs selbst war Maja nicht ganz zufrieden. „Die Farben sind doch viel zu grell. Schaut aus wie ein Zirkuswagen, Mama!“, jammerte sie und runzelte die Stirn.
Durch die „Beleuchtung“ des Zuges wurde die mangelhafte Verkürzung Richtung Fluchtpunkt erst so richtig unterstrichen, und wir beide mussten herzhaft lachen. „Schau mal, wie lang das Fenster im letzten Waggon ist!“ und „Wie soll man da denn hinten noch einen Stangenantrieb an die Räder zeichnen?“ brachten wir zwischen unserem Gegrunze gerade noch heraus.
Das Amüsement fand seinen Höhepunkt, als wir die Lokomotive mit einem „Dackel-Mops-Mischling“ verglichen. Tadaaaa! Hier ist also das technische Wunder, die Revolution der maschinellen Evolution, die genialste Erfindung der Neuzeit *Trommelwirbel*: Deeeeeer „DOPSAR-Express“!