Was fliegt denn da?
Ist es ein Privileg, wenn unsere eigenen Kinder den „Erfahrungs- und Lernbereich Natur“, der im Lehrplan der Volksschule („Sachunterricht“) enthalten ist, unmittelbar erleben und mit all ihren Sinnen wahrnehmen können? Türe auf und rein in die Landschaft! Oder ist es nicht vielmehr eine Benachteiligung jener, die einen guten Teil ihrer Kindheit in urbanen Schulgebäuden verbringen und bei denen Gänseblümchen nach Papier und Wachsmalkreide riechen? Von 1,14 Millionen Schülern in ganz Österreich leben 0,25 Millionen in Wien. Die Lebensrealität dieser Kinder bildet sich nicht in Wald und Wiesen, sondern in Architektur und Mobilität ab. Um in (Groß)Städten zurechtzukommen, ist es für diese Kinder essentieller, einschätzen zu können, wie schnell sich die Straßenbahn nähert und weniger essentiell, ob spitze Kieselsteine im Bachbett auf den Fußsohlen weh tun. Sind unsere eigenen Kinder nun benachteiligt, weil sie diese Bereiche umgekehrt nicht unmittelbar (zumindest nicht in diesem Ausmaß) erfahren können? Müsste ich mich entscheiden, so würde ich intuitiv immer wieder den „Erfahrungs- und Lernbereich Natur“ dem „Erfahrungs- und Lernbereich Verkehr“ vorziehen.
Obgleich auch Linus (9) sehr gerne zu Büchern und theoretischen Arbeitsmaterialien greift, die sich mit Tieren und Pflanzen auseinandersetzen, so schafft dennoch erst die Berührung mit der Realität nachhaltige Erinnerung.
Das fängt schon mit Kleinigkeiten an. Beispielsweise waren auf dem Legematerial, das ich ihm zur Verfügung gestellt hatte, Schlüsselblumen und ein kahler Apfelbaum abgebildet. Und während Großstadtkinder den Abdruck auf Papier als gegeben hinnehmen müssen, flitzte Linus schon durch den Garten und suchte die Pflanzen. „Was ist eigentlich der Unterschied zwischen den Primeln in Barnies Garten und unseren Schlüsselblumen, Mama?“, fragte er interessiert.
Nachdem wir ausführlich über unterschiedliche Farben und Wuchshöhen von Primelgewächsen geplaudert hatten, sauste Linus wieder zurück zum Legematerial und stellte fest, dass gar nicht alle abgebildeten Insekten schon im März bei uns zu sehen waren. Die Florfliege war ihm überhaupt noch nie im Garten aufgefallen. Aber die flauschigen Erdhummeln waren tatsächlich schon unterwegs.
Und auch die Bienen, die sich an unseren Weiden gütlich taten, fand Linus schnell.
Mit ein wenig Geduld entdeckte Linus die ersten strahlend gelben Zitronenfalter. Und manchmal hält die Natur (anders als ein unveränderliches, starres Arbeitsblatt) auch Überraschungen bereit 😉 Mit diesem Genossen hatten wir nämlich so früh im Jahr noch nicht gerechnet: