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WIEN – Krieg gehört ins Museum

Unsere kurze Bildungsreise nach Wien neigte sich bereits dem Ende zu. Nach einem ausgiebigen Frühstück mit liebgewonnenen Freunden im altehrwürdigen Café „Goldegg“ spazierten wir gemeinsam zum Heeresgeschichtlichen Museum. Das eindrucksvolle Gebäude bestehend aus sage und schreibe 117 Millionen Ziegeln zeugt selbst von einer nicht minder beeindruckenden Geschichte, die in die Zeit der bürgerlichen Revolution des Jahres 1848 zurückreicht. Um gegen mögliche zukünftige Aufstände der Bevölkerung vorgehen zu können, wurde die Errichtung einer Militärkaserne in Kanonenschussweite zur Innenstadt beschlossen und diese unter Kaiser Franz Josef I. im Jahr 1856 fertiggestellt.

In der Feldherrenhalle erwartete uns inmitten der sechzig Offiziere aus Carrara-Marmor eine junge Historikerin, die uns im Rahmen der vorab gebuchten Privatführung für jegliche Fragen zur Verfügung stehen sollte. Ich war – so viel darf ich vorwegnehmen – einerseits begeistert von den vielen interessanten Anekdoten, die sie erzählen konnte, andererseits war ich am Ende des Tages enttäuscht von ihrer gefühlt unreflektierten Art, das politische Zeitgeschehen zu bewerten. Von herrschaftlicher Propaganda oder eingeschränkter Meinungsfreiheit nur kritisch zu sprechen, wenn das Geschehen achtzig Jahre oder mehr zurückliegt, gleichzeitig aber keine aktuellen offensichtlichen Tendenzen zu erneuter Zensur und Informationskontrolle erkennen zu wollen (zumindest nach ihrem Dafürhalten ganz sicher nicht in Europa), verursachte in unserer Begleitung nicht einmal den leisesten Anflug von kognitiver Dissonanz.

Kuppel der „Ruhmeshalle“ mit vier allegorischen Figurendarstellungen („Tapferkeit“, „Mäßigung“, „Macht“ und „Kunst“)

Dessen ungeachtet war die Museumsführerin sehr wohl imstande, ihre Begeisterung für die Geschichte Österreichs und Europas an unsere Kinder weiterzureichen. Maja (13) hatte das „Kommando“ über die Themeneingrenzung über und beschloss, den blutigen Dreißigjährigen Krieg zu überspringen, stattdessen mit der zweiten Türkenbelagerung Wiens im Jahr 1683 zu starten und mit dem dramatischen Auslöser des Ersten Weltkriegs unsere Privatführung zu schließen.

Dass Erbsen in früheren Zeiten nicht nur im Zusammenhang mit Prinzessinnen, sondern auch im Kontext von Belagerungen eine wesentliche Rolle spielten, fanden beide Kinder spannend. Genau genommen halfen die kleinen, grünen Hülsenfrüchte den Spähtrupps der belagerten Wiener dabei, die Türken beim Graben unterirdischer Stollen rechtzeitig zu bemerken. Begannen die Erbsen auf der Bespannung der ebenfalls mitgenommenen Trommeln zu „tanzen“, war dies ein Indiz für Unterminierungsarbeiten des Gegners. Bereits bei der ersten Belagerung Wiens durch die Osmanen einige Jahrzehnte zuvor waren diese wegen Nachschubproblemen gescheitert. Auch der zweite Versuch unter Großwesir Kara Mustafa war nicht von Erfolg gekrönt – den Erbsen sei Dank!

Turbane, Trommeln, osmanische Reflexbögen und Rossschweife als Würdezeichen
Patronenbandolier des 17. Jahrhunderts

Kugelgießmodell des 17. Jahrhunderts

„Wiener Totenorgel“ – Orgelgeschütz aus dem Jahr 1678

Doch obwohl kurz darauf der „Frieden von Karlowitz“ geschlossen worden war, stellte dieser in Wahrheit für die Osmanen einen katastrophale Zäsur dar, weshalb sie keine zwanzig Jahre später versuchten, die Bedingungen dieser für sie verheerenden Vereinbarung zu revidieren. Mit einem 150.000 Mann starken Heer stießen sie am Ende des neu aufgeflammten Konflikts im habsburgischen Peterwardein (im heutigen Serbien) auf die zahlenmäßig unterlegene Streitmacht Prinz Eugens. Und verloren die Schlacht. Unter der Beute befand sich auch ein Prunkzelt (wohl das Audienzzelt des Großwesirs Silahdar Damat Ali Pascha), das wir im Museum besichtigen konnten.

Türkisches Audienzzelt mit seidengestickten Ornamenten aus Säulen und Pflanzmotiven

Während sich in Europa mehr und mehr das Gedankengut der Aufklärung verbreitete, begann in Österreich die Herrschaft Maria Theresias. Konfrontiert mit der Tatsache, dass zahlreiche deutsche Fürsten ihr Erbe nicht anerkennen wollten, entfachte Mitte des 18. Jahrhunderts der Österreichische Erbfolgekrieg – eine Zerreißprobe für die Habsburger-Dynastie. Das Geschichtekapitel rund um Maria Theresia hatte im Laufe der letzten Monate noch am ehesten das Interesse unserer Tochter geweckt, obwohl sie ansonsten meine Begeisterung für die europäische Geschichte nicht im gleichen Ausmaß teilt – zu brutal, zu kriegerisch, voller menschlicher Abgründe. Gegen die schönen Dinge jener Tage – Bekleidung, Instrumente, Kunstgegenstände – hatte aber auch Maja nichts einzuwenden. Unter dem Einfluss Maria Theresias veränderte sich das Erscheinungsbild der kaiserlichen Armee durch vereinheitlichte Uniformierungen. Welchen militärischen Rang Linus (10) wohl nach seinem äußeren Erscheinungsbild belegt hätte?

Huch, da ist wohl ein edler Rittersmann mit der Zeitmaschine in die theresianische Zukunft gereist.

Die Einführung der allgemeinen Unterrichtspflicht unter Maria Theresia für alle Kinder von sechs bis zwölf Jahren darf kritisch betrachtet werden. „Aus was fuer Buechern zu lehren sey“ war streng geregelt. Sie selbst erkannte das Potential des politischen Einflusses über den Weg der staatlich verordneten Bildung. Ihren eigenen 16 Kindern blieb der „Genuss“ der öffentlichen Schulen, wo alle Kinder „beyderley Geschlechts, deren Eltern oder Vormünder in Städten eigene Hauslehrer zu unterhalten nicht den Willen, oder nicht das Vermögen haben“ unterrichtet werden sollten, verwehrt. Sie wurden nach strengen Vorgaben Maria Theresias von Privatlehrern am Hof unterrichtet. Soll man ihr es verübeln? Man darf bei aller Kritik am heutigen Erbe dieser Bildungspolitik würdigen, dass es immerhin auch Maria Theresia war, die im Jahr 1740 den noch immer stattfindenden Hexenprozessen in Österreich einen Riegel vorschob.

Die Französische Revolution des Jahres 1789 erlebte Maria Theresia nicht mehr, somit musste sie auch nicht mehr die Hinrichtung ihrer Tochter Maria Antonia, besser bekannt als Marie Antoinette, miterleben.

Immer schneller schritten die militärischen und technischen Entwicklungen in der Zeit der mittlerweile stattfindenden Industriellen Revolution voran. Linus (10) und Maja (13) blieben mit offenen Mündern vor einem der beeindruckendsten Ausstellungsstücke des Museums stehen – dem Nachbau des französischen Beobachtungsballons „Intrépide“.

Nachbau des 1769 erbeuteten französischen Beobachtungsballons (die Originaltextilien liegen im Schaukasten links)

Dieses älteste erhaltene militärische Luftfahrzeug wurde von der kaiserlichen Armee in der Schlacht bei Würzburg (1796) erbeutet.

„Schlacht bei Würzburg 1796“ von Karl von Blaas

Während der Sohn Maria Theresias – Joseph II – nach dem Ableben seiner Mutter weitreichende Reformideen und die Schaffung einer Bürgergesellschaft vorantrieb, wuchs ein damals noch unbedeutender Junge auf Korsika heran, der den Europäern noch das Leben schwer machen sollte.

Bronzeskulptur von Napoleon Bonaparte

Joseph II verschied früh. Sein Bruder Leopold II regierte nach ihm nur zwei Jahre und stand als Kaiser zeitlebens in dessen Schatten, obwohl er von einigen Historikern als einziger konstitutionell denkender Habsburger betrachtet wird. In einem Schreiben an seine Schwester Marie Christine führte Leopold II aus: „Ich glaube, dass der Souverän, selbst ein erblicher, nur der Delegierte und Beauftragte des Volkes sei, für welches er da ist, dass er diesem alle seine Sorge und Arbeit widmen soll; ich glaube, dass jedes Land ein Grundgesetz oder einen Vertrag zwischen Volk und Souverän haben soll, welches die Macht des letzteren beschränkt.“ (aus „Allgemeine Deutsche Biographie“, Band 18).

Von den Napoleonischen Kriegen in Europa samt Wiener Kongress, der Herrschaft Franz Joseph I. mit seiner Frau Sisi und der Bürgerlichen Revolution in Wien erhielten wir einen knappen Abriss durch unsere Museumsführerin. Mit jedem einzelnen historischen Abschnitt hätte man sich noch stundenlang auseinandersetzen können. Aber die Köpfe der Kinder rauchten schon dezent, sodass wir beschlossen, zum Abschluss noch ein Exponat mit Gänsehautpotential anzusehen:

In diesem Fahrzeug starb der Thronfolger Franz Ferdinand
Einschussloch
„Unter einen Glassturz lasse ich mich nicht stellen. In Lebensgefahr sind wir immer. Man muss nur auf Gott vertrauen“, sagte Franz Ferdinand bei früherer Gelegenheit.

Damit beschlossen wir einen informationsreichen Tag, von dem ich erhoffte, dass er eher dazu geeignet war, bleibende Erinnerungen zu schaffen als es die Schulbücher bis dahin vermochten. Und wer weiß? Möglicherweise geht der Funken der Begeisterung für die Geschichte Europas (oder eines anderen Kontinents) in einer weit entfernten Zukunft doch noch auf meine Kinder über?

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