
KROATIEN – Schusters Rappen und Drahtesel
Eine Reise zu planen und schon Wochen oder sogar Monate vor der Abreise tief in das Land einzutauchen, das man besuchen möchte, bedeutet für mich eine kostenlose Ausweitung des Urlaubsgefühls. Es bereitet mir Vergnügen, mich mit fremder Geschichte und Kultur auseinanderzusetzen, Karten, Bücher und Berichte Einheimischer zu studieren, Reiserouten zu erstellen und dabei die unterschiedlichen Bedürfnisse aller Mitreisenden und jede erdenkliche Wetter-, Stimmungs- und Versorgungslage zu bedenken.
Mein Mann geht gänzlich anders, aber um keinen Deut schlechter, an das Reisen heran. Er ist die Spontanität in Person, fährt erst einmal ohne großartige Vorbereitung in das Zielland, streckt tagtäglich nach dem Frühstück die Nase in die Luft und entscheidet aus dem Bauch heraus, wonach ihm gerade ist beziehungsweise wohin es ihn zieht. Dieser Art des Reisens wollte ich mich heuer ganz bewusst hingeben und überließ daher ihm das Ruder. Zielland: Ganz klar seine potentielle Wahlheimat Kroatien.
Das Glamping-Zelt, das wir auf der Insel Krk bezogen, kannten mein Mann und unser jüngster Sohn bereits. Der Inhaber Robert – früher Mitarbeiter eines Mailänder Kreditinstituts – hatte sich mit dem „Glamping Village“ seinen Ruhestandstraum verwirklicht. Neben einer Tasse Kaffee zur Begrüßung erhielt ich auch noch eine Einführung in die kroatische Sprache, während mein Mann und die Jungs – unsere jüngeren Kinder Linus (11) und Merlin (6) waren unsere Reisebegleiter – das Gepäck für die erste Woche ausluden und verstauten.
Der ältere Bruder meines Mannes und seine Frau verbringen viel Zeit im „Land der tausend Inseln“. Wenn sie nicht gerade das weite Meer auf der Suche nach Freiheit und Abenteuern befahren, liegt ihr Segelboot in der Marina in Punat. Dort besuchten wir sie noch am gleichen Abend und verbrachten viele Stunden mit tiefgründigen Gesprächen über Gesellschaft und Politik sowie dem Austausch von Lebensphilosophien.

Für den folgenden Tag hatten wir uns alle auf das prognostizierte schlechte Wetter eingestellt, wunderten uns aber auch nicht, als es anders kam. Die Wettervorhersagen sind für Kroatien kaum zuverlässiger als für Kärnten. Hach, was waren das noch für Zeiten, als „Quaxi“ die meteorologische Verantwortung hatte. Ein weiteres Essen mit Schwager und Schwägerin in der Marina und die Fortsetzung unserer Gespräche des Vorabends schienen uns lohnenswert. Wir wurden nicht enttäuscht. Und da schon meine Urgroßmutter zu sagen pflegte: „Mit vollem Magen sollst du ruh’n oder tausend Schritte tun“, entschieden wir uns im Anschluss daran für einen Rundgang in der geschichtsträchtigen Stadt Krk.



Über Linus‘ angespannte Nervenkrise und die unmittelbar darauf folgende hysterische Schimpftirade, die er – obwohl doppelt so alt – bekam, weil sein kleiner Bruder ihm einen lustigen Kreistanz auf dem runden Kanaldeckel nachmachte (mehrfach) und Linus es auf den Tod nicht ausstehen kann, wenn er imitiert wird, schweigen wir jetzt lieber. Die Krise dauerte gottlob nicht allzu lange und war spätestens bei der Auswahl der Eissorten am Hafen wieder vergessen.

Nachdem wir am Montagmorgen gefrühstückt hatten, machten wir uns auf den Weg zur Adresse eines Fahrradverleihs in Krk, bei dem es nur leider nichts (mehr) zu leihen gab. Mein Mann erfuhr am Telefon, dass wir in der Marina in Punat Fahrräder ausborgen könnten. „Hmmm, ob die Runde, die ich mit euch fahren will, dann nicht zu lange für den Kleinen ist?“, gab mein Mann zu bedenken. Wir ließen es darauf ankommen. Immerhin werden wir immer wieder aufs Neue von Merlins sportlicher Ausdauer überrascht.
Womit wir nicht gerechnet hatten, war allerdings Merlins Skepsis einem fremden Fahrrad gegenüber. Während ich den Weg vom Parkplatz in die Marina nach dem eben verloren gegangenen Verschluss von Merlins Fahrradhelm absuchte, übernahm mein Liebster die vier Drahtesel. Der Mann vom Fahrradverleih hatte sogar extra noch die Sattelstütze für das kleinste Fahrrad mit der Eisensäge gekürzt. Mit so jungen Pedalhelden hatte man offenbar nicht so häufig zu tun. Als ich gerade mit dem wiedergefundenen Verschluss in der Hand um die Kurve bog, platzte ich in eine ganz besondere Szene: Linus quasselte auf seinen kleinen Bruder ein, der komplett überfordert den Tränen nahe war. Der Mann vom Fahrradverleih quasselte seinerseits auf meine zweite Hälfte ein, weil er einfach den Übergabevorgang zum Abschluss bringen und wissen wollte, wie viele Fahrräder wir denn jetzt ausborgen wollten. Meinem Mann wiederum stand die Überlastung ins Gesicht geschrieben. Er rechnete offenbar gerade mit einem Totalabbruch der Unternehmung wegen Merlins Verweigerung, sein Lastentier anzunehmen.
Meine ganze mütterlich-weibliche Energie zum Einsatz bringend, lobte ich zuallererst einmal Merlins weiß-pinkes Velo in höchsten Tönen. „Boah, Merlin! DAS ist ja ein geniales Fahrrad! Schau mal! Das hat sogar eine Klingel und eine Gangschaltung!“ Linus bat ich leise, sich mal einen Moment ein wenig zurückzuhalten, bis die Situation ausgeglichener wäre. Er begriff sofort und ließ mich die Führung übernehmen. Meinem Mann signalisierte ich, dass er den Vertrag mit vier Rädern abschließen könne. Wir würden nur ein paar Minuten der Eingewöhnung brauchen. Ich glaube, er war einfach nur dankbar, dass wir uns die Zuständigkeiten aufteilen konnten. „Merlin, magst du dein Fahrrad einmal bis zur Linie dort vorne schieben? Linus, fahr doch bitte mal bis dorthin voraus und zeige ihm, welche Markierung ich meine!“ Es funktionierte. Nach einer Minute schieben folgte eine Minute Laufradsimulation, danach der erste Pedalkontakt. Kurze Zeit später benutzte er die Bremse und fuhr auch schon die erste Kurve. Und nach fünf Minuten grinste er bereits wie ein Honigkuchenpferd.

Mein Mann lotste uns entlang eines gut ausgebauten Fahrradwegs bis zur bewaldeten Halbinsel Prniba, die südöstlich der Stadt Krk liegt und die Bucht von Punat schützt. Wir hatten es nicht eilig. Der Zenit des Tages war in der Zwischenzeit schon überschritten. Wir genossen unsere aus Kärnten mitgebrachten Äpfel im Schatten von Olivenbäumen am Straßenrand und erkundeten eine dunkle, muffige Unterführung, deren Eingang dermaßen von Pflanzen überwuchert war, dass wir ihn beinahe übersehen hätten.

Prniba war einfach ein wahres Juwel und perfekt für unseren Familienausflug. Den Wechsel auf geschotterte Wege und das gemütliche Dahinradeln in den Pinienwäldern der Halbinsel genossen wir alle sehr.

Merlin (6) schlug sich tapfer, obwohl er einmal sogar leicht gestürzt war, als er sein Fahrrad über ein Viehgitter schieben wollte und sich dabei der Vorderreifen quer stellte. Dank der heldenhaften Einsatzbereitschaft meines Mannes, die „Minimal“-Badeausstattung aller (inklusive Taucherbrillen, Schnorchel …) plus Liegedecke mitzuschleppen, gab es sogar eine kurze Abkühlung im Meer.

Nach dem Verspeisen unserer Jausenbrote nahmen wir noch den Rest der Strecke in Angriff.

Wir machten Halt an jener Engstelle, die alle Boote, die aus der Marina in Punat ausliefen, durchqueren mussten, wenn sie aufs offene Meer hinaussegeln wollten. Bald war der Rundweg um die Halbinsel geschafft und wir kehrten entlang des bereits bekannten Fahrradwegs zum Ausgangspunkt unserer Tour zurück. Mit einer kleinen Unterbrechung gegen Ende unseres Fahrradausflugs …


