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Morgenröte

Die weißen Strähnen meines Hauptes und die zunehmenden Fältchen in meinem Gesicht deuten eigentlich darauf hin, dass die zweite Hälfte meines Lebens längst begonnen hat. Gefühlt durchlebe ich seit dem vierten Geburtstag unseres jüngsten Kindes und die dadurch begründete wiedergewonnene Freiheit jedoch einen weiteren jugendlichen Frühling. Zugegeben: Hie und da wird dieser Lenz von heftigen Stürmen unserer hormongeschwängerten Jugendlichen durchgebeutelt.

Meine Ziele und Träume für die nächsten Jahrzehnte sind vielfältig. Fest steht, dass es mich wieder in die Berge zieht. Leider ging meine ursprünglich ganz passable Kondition irgendwo am Weg bis heute verloren und wartet darauf, wieder aus dem Dornröschenschlaf erweckt zu werden. Und da in Kärnten der Grundsatz „von nix kummt nix“ gilt, wurde mein Wecker heute kurzerhand auf 4:15 Uhr gestellt. Zum wiederholten Male wollte ich die frühesten Morgenstunden nutzen, um mich wieder auf Vordermann zu bringen.

Mein Ziel war eine Wanderung, die ich früher, als ich noch jung war, wohl als „ålte-Leit-Spaziergång“ bezeichnet hätte: ausgehend von der Rosstratt’n auf den Zwölfernock des Dobratsch.

Gegen fünf Uhr begann ich den Marsch, der anfangs ein paar kleinere Herausforderungen bot. Der Himmel war um diese Zeit noch sternenübersät und der Weg überwiegend von Schnee und Eis bedeckt. Ohne Grödel an den Bergschuhen musste man schon recht konzentriert gehen, wollte man nicht auf seinem Hinterteil landen. Ich hatte beschlossen, diese kurze erste Phase ohne Taschenlampe zurückzulegen. Meine Augen gewöhnten sich recht schnell an die Dunkelheit und Absturzgefahr bestand bei dieser Route – anders als beim eigentlich schöneren „Jägersteig“ – ja nicht. An alle, die uns nicht persönlich kennen und/oder die möglicherweise nur auf Urlaub in Kärnten sind: So etwas macht man bitte nur, wenn man ortskundig ist und über ein gewisses Maß an Bergerfahrung verfügt! Der Dobratsch ist unser Hausberg und wir kennen diese Strecke wie unsere Westentasche.

Bald schon fing der Horizont an, sich zu verfärben. Unsere Heimatstadt lag nächtlich erleuchtet tief unter mir. Meine Lieben schlummerten noch tief und fest in ihren warmen Betten, während mir ein frischer, aber nicht allzu kalter Wind ins Gesicht blies.

Kurz nach sechs Uhr früh befand ich mich nur noch wenige Höhenmeter unterhalb des Gipfelkreuzes. Neben mir waren noch zwei Pärchen und eine Dreiergruppe mit zwei Hunden unterwegs, um den Sonnenaufgang von hier oben zu genießen. Der Sendeturm war schon zu sehen. Er wurde wenige Jahre vor meiner Geburt (im Jahr 1971) erbaut und gilt als einer der stärksten Sender Österreichs.

Dobratsch-Sender und die „Deutsche Kapelle“ zur Linken

Am Gipfelkreuz des Zwölfernocks angelangt, packte ich meinen mitgebrachten Tee aus und genoss das Schauspiel.

Blick auf den Ossiacher See
Blick auf den Wörther See
Blick zu den Julischen Alpen

Mit tief empfundener Dankbarkeit im Herzen, an so einem schönen Flecken Erde leben zu dürfen, machte ich mich nach einiger Zeit wieder auf den Rückweg, der nicht ohne Überraschungen blieb. Habt ihr jemals einen Birkhahn bei der Balz gesehen oder gehört?

Noch ein letzter Blick in die Ferne …

… und ein letzter in die Nähe …

… bevor ich mich wieder auf den Heimweg machte. Ob dort an einem Sonntag um acht Uhr morgens schon irgendwer Frühstück vorbereitet hatte?

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