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NIEDERÖSTERREICH – Burg Heidenreichstein (Wasserburg)

Höhenburgen sind in unserem Land – vor allem der natürlichen Topographie geschuldet – weiter verbreitet als Niederungsburgen. Dennoch gibt es auch in Österreich die eine oder andere Schönheit aus zweiter Kategorie. Wie ich euch hier schon erzählte https://belinda.amplatz.today/freigeist/kaernten-burg-hochosterwitz-gipfelburg/ fassten wir kürzlich den Familienbeschluss, mit dem Knappen Linus von Amplatz unterschiedliche Arten von Burgen zu bereisen. Zur Zeit sind wir auf Besuch im Waldviertel in Niederösterreich, wo sich die größte mittelalterliche Wasserburg Österreichs befindet: Burg Heidenreichstein.

Anfang des 12. Jahrhunderts entstand entlang zweier Fernstraßen nach Böhmen eine Siedlung, die vermutlich nach einem „Heidenreich“ aus der Familie der Burggrafen von Gars, Ministerialen der Babenberger, benannt worden sein dürfte. Der ebenso in dieser Zeit (ca. 1160 n. Chr.) errichtete Bergfried diente der Verteidigung dieser wichtigen Wege. Der Felskopf aus Granit, auf dem sich Burg Heidenreichstein erhebt, überragt nur wenig die Umgebung. Erst im späten Mittelalter erhielt die Burg nach 400jähriger Bauzeit das Aussehen, das bis heute erhalten blieb.

Der einzige Zugang zur Burg führte von der Stadtseite her über zwei Zugbrücken, die heute noch intakt sind. Im Süden wird Burg Heidenreichstein vom Hauswehrteich begrenzt, die künstlichen Gräben im Westen und Norden wurden indessen trockengelegt.

Über ein spätes Freundschaftsvermächtnis gelangte die Burg nach einer 250 Jahre dauernden Besitzerreihe der Familie Palffy an den Adjutanten des Erzherzogs Franz Ferdinand und über den Erbantritt seiner zweitgeborenen Tochter und Heirat schlussendlich in die Hände der Familie Kinsky, in deren Privatbesitz sich Burg Heidenreichstein bis heute befindet. Besichtigt werden kann die Anlage nur über eine Führung, die ich schon vor unserer Abreise für Maja (13), Linus (9) und mich gebucht hatte.

Eingangstor in das Langhaus der Burg

Nach kurzer Wartezeit empfing uns eine rüstige, in einen tannengrünen Lodenmantel gehüllte Fremdenführerin mit ruppig-rauer Stimme, aber freundlichem Wesen.

Leider war das Fotografieren in den innenliegenden Räumlichkeiten nicht erlaubt. wir wurden durch den „Altarsaal“ oder „Gelben Salon“ durch das 4,5 m starke Gemäuer in das Innere des Bergfrieds geführt. Die gewaltige Mauer wurde im Jahr 1913 durch direkten Blitzschlag beschädigt. Mit einem verschmitzten Schmunzeln im Gesicht meinte unsere Begleiterin: „Jetzt ist die Mauer statt viereinhalb eben nur noch drei Meter dick.“

Bergfried mit Beschädigung der äußeren Mauerschicht durch einen Blitzeinschlag
Darunter lag – in 14 Metern Höhe – der ursprünglich einzige Zugang zum Turm, der nur über Strickleitern zu erreichen war.

Die Zwischendecken des Bergfrieds waren nicht von Beginn an eingezogen, sondern erst im Zuge späterer Bauarbeiten ergänzt worden, als die Burg mehr und mehr auch Wohnzwecken diente. Durch dendrochronologische Methoden konnte das Alter dieser eingezogenen Holzdecken auf den Beginn des 16. Jahrhunderts festgelegt werden.

Wir wurden in den Speisesaal geführt, wo gotische Tische mit Geschirr und Tellern aus Zinn gedeckt waren. Anschaulich erläuterte die Fremdenführerin, dass allein schon der allgegenwärtige Aberglaube im Mittelalter verboten habe, mit Gabeln – dem Werkzeug des Teufels – zu essen. Messer seien als Waffen in Speisesälen ebenso nicht gängig gewesen. Ein Löffel sei dahingegen stets von jedem Mann mitgeführt worden, woher das Sprichwort „Mit dem Löffel in der Hand, reist es sich gut durchs ganze Land“ rühre. Segnete dann ein Mann des Mittelalters das Zeitliche, habe er seinen „Löffel abgegeben“.

Auch im Rittersaal erfuhren wir interessante Details aus früheren Tagen. Der unebene Boden sei nicht dafür geeignet gewesen, ihn mit Fliesen auszukleiden, weshalb man ihn mit einem Vorreiter des Linoleums ausgelegt habe: kleine quadratische Platten aus Ton, Leinöl und Pflanzenfasern, die eine gewisse Elastizität aufwiesen und die für die schönere Optik mit detailreichen Mustern geprägt worden waren.

Da die Menschen in den Wintermonaten ununterbrochen Rauch, Ruß, Kälte und Feuchtigkeit ausgesetzt waren, seien Lungenkrankheiten weit verbreitet gewesen. Die Symptome verstärkten sich im Liegen, weshalb man im Mittelalter oftmals im Sitzen geschlafen habe. Auf den vier bis fünf Meter langen Gelagesäcken des Rittersaals haben sich die betrunkenen Rittersleut‘ somit auch sitzend niedergelassen und in dieser Haltung ihren Rausch ausgeschlafen, während die Damen in das mit warmen Ziegelsteinen ausgelegte oder durch den Hund vorgewärmte Himmelbett des Damenzimmers stiegen.

Im Kapellenturm an der Nordostecke der Burg befindet sich heute im zweiten Obergeschoss – auch hier waren später Zwischendecken eingezogen worden – die Rüstkammer. Die zahlreichen Kinder, die an der Führung teilnahmen, durften sich hier mit Replikaten verkleiden und bewaffnen, während uns Erwachsenen ein beeindruckender Damenschlitten aus dem 16. Jahrhundert vorgeführt wurde.

Wir passierten im Anschluss daran Gästezimmer und Kemenaten, betrachteten den ältesten Einrichtungsgegenstand der Burg – einen gotischen Giebelschrank aus dem 14. Jahrhundert – und gelangten schließlich zu einem romanischen Gewölbe aus dem 12. Jahrhundert, das glücklicherweise nie verputzt worden war. Aus diesem Grund konnte man dort Reste der originalen Schalungsbretter (datiert auf das Jahr 1186 n. Chr.) vorfinden. Hinter einer Ulmenholztür aus dem Jahre 1182 n. Chr. verbarg sich der „Geheimgang“, dessen Besichtigung ich natürlich dazugebucht hatte. Über eine schulterschmale Stiege mit 60 cm hohen Stufen sowie die außen am früheren Zugang des Bergfrieds angebaute Holztreppe …

… gelangten wir in das 3. Obergeschoß des Bergfrieds, dem „Dachboden“.

Sparrendach mit Kreuzstreben aus dem Jahr 1344 n. Chr.
Da die Zwischendecken ja erst später eingezogen worden waren, geht man heute davon aus, dass es sich im 14. Jahrhundert um einen ehemals fast 27 m langen und 17 m hohen Saal (ausgehend vom Speisesaal samt Nebenräumen im 1. Obergeschoß) mit offenem Dachwerk handelte.
Noch immer sind die ursprünglichen Holznägel im Sparrendach eingebaut.

Würde man dem Gang nach unten folgen, so gelangte man unterirdisch ins gotische Giebelhaus im Stadtzentrum. Für uns endete die Führung durch die Burg Heidenreichstein an dieser Stelle.

Ein schönes Exemplar einer Höhlenburg werden wir zum Abschluss unserer Exkursionsreihe auch noch besichtigen, dies aber wohl im nächsten Frühsommer. Aber keine Sorge! Bis dahin wird es viele andere Beiträge hier bei mir geben, sodass die Zeit wie im Fluge vergehen wird.

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