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NIEDERÖSTERREICH – O schaurig ist’s, über’s Moor zu gehn …

Kaum jemand kommt heutzutage mehr in die Verlegenheit, die von Annette von Droste-Hülshoff 1842 beschriebene Stimmung beim Durchwandern einer Moorlandschaft in dieser Form zu erleben. Vor allem im 18. und 19. Jahrhundert wurden durch Entwässerung und Torfabbau Feuchtgebiete nutzbar gemacht, was als Triumph des Menschen über die widerspenstige Natur gefeiert wurde. Brenntorf zu stechen und zu trocknen war eine mühevolle Arbeit und meist der ärmeren Bevölkerung vorbehalten. Heute weiß man, welchen Wert und Nutzen der Erhalt von Feuchtgebieten hat. Und dennoch ist Europa wieder einmal Weltmeister der Heuchelei. Der hiesige Abbau von Torf ist in Verruf geraten und seit Jahren rückläufig. Der Verbrauch von Torf wächst aber gleichzeitig stetig. Als Feuerungsmittel wird er zwar schon lange nicht mehr genutzt, umso mehr aber als Düngemittel im industriellen Gemüseanbau. 2,5 Millionen Tonnen Torf werden jährlich importiert und über Europa verteilt. Billig. Aus dem Baltikum.

Nachdem wir uns mit dem „Wiener Becken“, seiner Geologie und seiner urzeitlichen Geschichte beschäftigt haben, führte uns unser Weg zur nächsten österreichischen Großlandschaft, dem „Granit- und Gneishochland“ im niederösterreichischen Waldviertel. Der einst größte Moorkomplex des Bundeslandes, das Schremser Hochmoor, wurde durch Torfabbau bis in die 1980er Jahre zu großen Teilen zerstört. Die Torfgewinnung im Waldviertel war stark mit der Glasindustrie verbunden, beides erlebte seinen Höhepunkt gegen Ende des 18. Jahrhunderts. Später wurde der hier gestochene Torf als Einstreu und Düngemittel genutzt, bis im Jahr 2000 die Renaturierung des einst industriellen Abbaugebiets durch Errichtung eines Naturparks besiegelt wurde.

Wo früher also das eintönige, scharfe Stechen der Torfspaten zu hören war, erklingt heute das Geschnatter zufriedener Spaziergänger und das Lachen ihrer Kinder auf den touristisch angelegten Wanderwegen des Naturschutzgebietes.

Gleich zu Beginn des Rundweges konnten die Kinder vom Ruderboot aus erahnen, wo sich der „Herrenteich“ bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts befunden hatte, ein 50 ha großes künstlich angelegtes Gewässer, das der Karpfenzucht gedient hatte.

Nur eine kurze Wegstrecke weiter hatte die Bande die Gelegenheit, große Teile des Naturparks aus der Vogelperspektive zu überblicken. Linus (9) liebt es ja ganz allgemein, Aussichtstürme zu erklimmen, egal, wie hoch sie auch sein mögen. Maja (13) bleibt in den allermeisten Fällen unten stehen. Merlin (4) geht dorthin, wo Linus Weg hinführt, und ich selbst tue so, als ob es mir nichts ausmachte, die Jungs zu begleiten, obwohl ich in Wahrheit meistens lieber bei Maja bliebe. Dieses Mal aber überraschte mich unser Mädel, als sie dazu ansetzte, die „Himmelsleiter“ gemeinsam mit ihren Brüdern zu besteigen.

„Wo bleibst du denn, Mama?“, scheint Majas Blick sagen zu wollen.
„Himmelsleiter“ im Naturpark Schrems (20 m hoch)

Üblicherweise sind Hochmoore Regenwassermoore, die in Gebieten mit hohen Niederschlagsmengen und geringer Verdunstung entstehen. Das Schremser Hochmoor hatte sich nach der letzten Eiszeit vor etwa 10.000 Jahren gebildet und verfügt heute in den abgetorften Bereichen über die unterschiedlichsten Moor-Regenerationszonen.

Gebildet werden Moore hauptsächlich durch Torfmoose, faszinierende Pflanzen, die ideal an den nährstoffarmen, sauren Lebensraum im Hochmoor angepasst sind. Durch den hohen Wasserpegel und den niedrigen Sauerstoffgehalt der Umgebung produzieren Moore mehr Biomasse als wieder abgebaut wird. Dies geht so vonstatten, dass die Torfmoose an der von Wasser bedeckten Basis allmählich absterben, dort jedoch unter Luftabschluss nicht vollständig zersetzt werden können. Auf diese Art und Weise bildet ein intaktes Hochmoor eine neue Torfschicht von rund einem Millimeter pro Jahr aus.

Dass der Bohlenweg, den man ein Stück weit in das Moor hineingebaut hatte, in Schrems „Prügelweg“ hieß, trug besonders zu Linus‘ (9) Amusement bei.

Vom „Prügelsteg“ aus ließen sich die unterschiedlichen Stadien der Torfbildung beobachten.

Linus (9) und Maja (13) liefen wie üblich weit voraus. Als wir sie das nächste Mal einholten, hatte Linus bereits vorsorglich Schuhe und Socken ausgezogen, die Hosen bis über seine Knie hochgekrempelt und kraxelte am Geländer des urigen Moortretbeckens herum. Merlin (4) wollte sich natürlich partout seiner Kleidung nicht entledigen und trotzdem mit seinem großen Bruder herumklettern, was bei mir unbarmherziges Kopfkino auslöste: Ich sah vor meinem geistigen Auge, wie der Minizwerg heulend mit einem Schuh im Moor steckte, wie ich auf tausend Wege versuchte, ihn aus dem Schlamassel zu befreien, und wie ich dafür sein übliches „halbe Minecraft“ erntete, sein Synonym für „låsst’s mi in Ruah“, „dås interessiert mi ålles nit“ oder „i måch, wås i wüll“.

Ein „Schau‘ amål, Merlin, a Schwammale!“ überzeugte ihn, die Gegend rund um das Moortretbecken zu verlassen und wir konnten rasch an Distanz gewinnen.

Nach einer kurzen Pause, in der wir unsere mitgebrachten Äpfel und Karotten sowie die Waldviertler Mohnzelten – ein Geschenk des Vermieters unseres Ferienhauses – verzehrten, kamen wir in immer lichter werdendes Gelände.

Am Ende des Rundweges passierten wir im Wind knarzende, hohe Kiefern und mächtige Stieleichen.

Unsere Wanderung durch das Hochmoor Schrems beendeten wir , als die Kinder die Mantel- und Jackentaschen mit Kastanien gefüllt hatten. Auf die Naturpark-Ausstellung „UnterWasserReich“ hatten sie keine Lust mehr. Die Natur war ihnen Ausflug genug gewesen. Was will man mehr?

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