Gegensätze ziehen sich an
Physik – Lieblingsnaturwissenschaft für Jungs und rotes Tuch für Mädchen. Die allermeisten Leser würden wohl vor dem Hintergrund ihrer eigenen Lebenserfahrung bestätigen, dass Klischee und Evidenz in diesem Fall unbestritten nah beieinander liegen. Dies unterstreicht auch die Interessenstudie von Lore Hoffmann und Peter Häußler aus dem Jahr 1995, wonach 60 % der Jungen am Ende der Sekundarstufe das Fach „Physik“ mit „interessant“ oder sogar „sehr interessant“ bewerten – dreimal so viel als Mädchen https://www.pedocs.de/volltexte/2013/8124/pdf/UnterWiss_1995_2_Haeussler_Hoffmann_Physikunterricht.pdf
Was jedoch kaum einer weiß: In Wahrheit bekunden Mädchen in der Sekundarstufe sehr wohl Interesse an zumindest ausgewählten Teilbereichen der Physik, die Jungs nicht minder interessieren. Vor allem „Akustik“, „Wärmelehre“ und „Optik“ stoßen auch auf weibliches Interesse. Dahingegen bleiben die Jungs nachhaltig und wissenschaftlich belegbar die „echten Schrauber“: Schaltungen mit Transistoren, Satelliten oder die Gerätschaften einer Autowerkstatt können Mädchen kaum begeistern und stellen eine wahrlich männliche Domäne dar. Ausnahmen bestätigen die Regel.
Maja (12) bewegt sich mit ihren physikalischen Interessen ganz klar im oben erläuterten Segment. Zum Teilbereich der „Akustik“ erstellt sie gerade ein Plakat, schwirrt schon tagelang mit dem Dosentelefon im Haus herum und erläutert ihrem kleinen Bruder das Prinzip von Schallwellen. „Spannen, Linus! Du musst das Seil spannen, sonst funktioniert das mit den Schallwellen nicht so gut!“
Dass sie dagegen eine massive Abneigung gegenüber der theoretisch-mathematischen „Mechanik“ verspürt, ist für uns kein Geheimnis. Die Kunst besteht darin, das eine oder andere in einen Kontext zu rücken, der für sie als Mädchen greifbar ist, und beim Rest Mut zur Lücke zu zeigen. https://belinda.amplatz.today/freigeist/marshmallow-katapult-physik-in-aktion/
Ein physikalischer Teilbereich, der Maja von Beginn an durchaus begeistern konnte, war „Magnetismus“, in erster Linie wegen seiner Relevanz für Majas Alltag respektive seinem Zusammenspiel mit anderen Naturwissenschaften, allen voran der Biologie.
Einiges an praktischem Wissen und Können brachte sie natürlich bereits mit und hatten wir in den letzten Monaten auch noch einmal vertieft und erweitert. Den Abschluss ihrer theoretischen Auseinandersetzung bildete wieder einmal ein Lapbook, eine Präsentationsform, die unseres Erachtens mehr Persönlichkeit ausstrahlt als eine Bildschirmpräsentation.
Dabei spannte Maja (12) den Bogen von der Relevanz im Alltag …
… über die historischen Hintergründe …
… bis zum beeindruckenden und wenig erforschten Magnetsinn vieler Tiere.
Natürlich wurden auch einige Klassiker in das Lapbook aufgenommen. Beispielsweise beantwortete sie die Frage nach den ferromagnetischen Stoffen.
Der grundlegende Aufbau eines Kompass‘ wurde kurz angerissen.
Wie sich die magnetischen Feldlinien von Hufeisen- und Stabmagneten unterscheiden, thematisierte Maja ebenso.
Zuguterletzt ging Maja (12) noch der Frage auf den Grund, welchen Einfluss Sonnenstürme auf die Polarlichter haben.
Man darf sich jetzt die Frage stellen, welchen Stellenwert und welche Aussagekraft eine wenige Minuten dauernde Externistenprüfung in Österreich hat, bei der mittels Weisung aus dem Bildungsministerium derlei Präsentationen nicht mehr in die Beurteilung einfließen dürfen. Denn in Wahrheit sind die Kinder einer unerträglichen Willkür ausgeliefert. Dankbar bin ich aber für die Idealisten unter den Pädagogen, die trotz der miserablen Rahmenbedingungen selbst Menschen bleiben und in den Kindern zuallererst den individuellen Menschen mit seinen jeweiligen Begabungen sehen.