FreiGepäck

Muse im Wiener Neustädter Stadion

Obwohl ich ja ursprünglich aus der Elektronik-Ecke stamme – in meiner Jugend begleiteten mich Namen wie Takkyu Ishino, Der Dritte Raum, Jeff Mills, Johannes Heil, Daft Punk, Extrawelt musikalisch – war ich immer auch anderen Musikrichtungen gegenüber sehr aufgeschlossen, vor allem dann, wenn Rhythmik und Harmonik in einem Musikstück auch einmal unerwartete Überraschungen bereithielten.

Dass ich einmal für eine Band aus der Rock-Schiene dermaßen schwärmen würde, hätte ich mir in jungen Jahren nicht träumen lassen. Es ist aber wohl der Anteil elektronischer und klassischer Akzente, die – gepaart mit ihrem Alternative-/Progressive-Rock-Stil – und den meist politkritischen Texten den Reiz an der britischen Band „Muse“ ausmachen. Wenn man dann zusätzlich ein Freund technisch aufwändiger, futuristischer Bühnenshows ist, dann kommt man nicht umhin, diesem genialen Trio sein Ohr nicht nur via Datenträger zu leihen, sondern auch seine Livekonzerte zu besuchen, die zu den weltweit besten zählen sollen.

Gestern war es wieder einmal so weit. Nach den beiden Muse-Konzerten in der Wiener Stadthalle, die ich bereits besucht hatte – einmal im Rahmen der „The 2nd law“-Tour im November 2012 sowie der „Drones“-Tour in im Mai 2016 – stieg ich gestern wieder einmal ins Auto und freute mich auf einen fulminanten Konzertabend – dieses Mal im Stadion in Wiener Neustadt. Ich war früh dran und konnte mittags tatsächlich noch einen Parkplatz unmittelbar vor dem Veranstaltungsgelände ergattern.

Die nächsten vier Stunden verbrachte ich damit, die anderen Konzertbesucher zu beobachten, ein kleines (Plastik-)Fläschchen stillen Mineralwassers um satte EUR 4,00 so langsam zu trinken und zu genießen als wäre es Champagner (wenn es schon quasi den Preis desselben hatte) und mit allen möglichen Menschen jeglicher Couleur über Gott und die Welt zu quatschen. So früh sind ja in aller Regel nur die richtigen Hardcore-Fans vor Ort, die sich mehr oder weniger an die Absperrungen ketten und sowohl Durstgefühl als auch Harndrang unterdrücken, um nur ja keinen Zentimeter der eroberten Zutrittsreihenfolge aufgeben zu müssen.

Leider wurden die Taschen beim Einlass um 16:00 Uhr sehr genau kontrolliert und ich musste das Gelände noch einmal verlassen, um meinen Fotoapparat samt Objektiven im Auto zu deponieren, was ich bemerkenswert fand. Um „Bild- und Tonaufnahmen“ konnte es bei diesem Verbot nicht gegangen sein. Alle Fans hatten ihre Smartphones mit, was auch von offizieller Seite zulässig war. Zudem durfte man Kompaktkameras sehr wohl mit auf das Kerngelände nehmen. Nicht zugelassen waren explizit Spiegelreflexkameras. Seid als bitte gnädig, was eure Kritik an der weiteren Bildqualität betrifft. Die Fotos entstanden aus der Zusammenwirkung eines zugegeben alten iPhones und einer noch älteren Nutzerin – eine ungünstige Konstellation. Positiv muss ich aber erwähnen, dass ich vom Sicherheitspersonal seitlich vorbei geleitet wurde und somit schnell wieder bei den vordersten der Reihe anschließen konnte. Mein Platz direkt an der linken Seite der Bühne war somit gesichert.

In der Wartezeit auf die japanische Vorband „One OK Rock“, die um 18:30 Uhr starten sollte, knüpfte ich auch schon die ersten netten Bekanntschaften. Ein 30jähriger aus Innsbruck stammender Maschinenbauer mit seiner Kölner Freundin, einer Linguistik-Studentin, zwei Kolumbianerinnen, die seit 5 Jahren in Wien leben und am Konservatorium Geige studieren und ein 28jähriger Bursche und Comic-Fan, der über ein Gewinnspiel zu seinem Muse-Ticket gekommen war, bildeten gemeinsam mit meiner Wenigkeit eine lustig-illustre Fan-Runde.

Und endlich ging es nach einem kurzweiligen, sonnig-heißen Nachmittag los (mein Sonnenbrand lässt grüßen).

„One OK Rock“ aus Japan
„Royal Blood“ aus Großbritannien

Das von 20.000 Menschen ausgefüllte Stadion unterstützte beide Vorbands vorbildlich. Die Kölnerin unserer kleine Truppe hatte besonders viel Spaß daran, der recht jungen japanischen Truppe die beiden einzigen japanischen Ausdrücke entgegenzurufen, die ihr jemals untergekommen waren: „Konnichiwa!“ und „Arigato!“ brüllte sie bis zur Heiserkeit, und wir zerkringelten uns alle über ihren vorbildlichen Einsatz.

Auch ließen wir es uns nicht nehmen, die Crew der Hauptband „Muse“ gehörig beim Putzen und beim Bühnenumbau anzufeuern. „Give us all your dust!“ riefen wir ihnen entgegen und ernteten zuerst ungläubige und leicht verlegene Blicke, dann aber motiviertes Lachen und freundliches Winken jener, die für einen reibungslosen Ablauf im Hintergrund sorgen.

Als die Sonne gegen 21:00 Uhr gerade am Untergehen war, kam endlich das langersehnte Trio auf die Bühne. Gänsehaut! Den fulminanten Start machte „Will of the people“ https://www.youtube.com/watch?v=MClg7zpm6VQ, gefolgt von „Hysteria“ https://www.youtube.com/watch?v=3dm_5qWWDV8 und „Psycho“ https://www.youtube.com/watch?v=UqLRqzTp6Rk. Damit war das Publikum schon mitgenommen. Die Menge tobte, jubelte und grölte die dystopisch anmutenden Refrains alter und neuer Tracks beinahe bis zur Besinnungslosigkeit mit.

„Map of the Problematique“ https://www.youtube.com/watch?v=h9-yURr3qjo und „Resistance“ https://www.youtube.com/watch?v=TPE9uSFFxrI ließen vor allem die Herzen der älteren Fans höher schlagen, während beim aktuellen Track „Won’t stand down“ https://www.youtube.com/watch?v=d55ELY17CFM der Rebellengeist der Band auf die gesamte Menschenmasse überzugehen schien.

Während „Kill or be killed“ via Tape eingespielt und von eindrucksvollen Visuals untermalt wurde, gönnte sich die Band eine kurze Trink- und Umziehpause, um dann erfrischt und nicht weniger bombastisch „Compliance“ https://www.youtube.com/watch?v=QP3zRBtgvJo vom aktuellen Album zum Besten zu geben. „Thought contagion“ https://www.youtube.com/watch?v=QQ_3S-IQm38 und „Verona“ https://www.youtube.com/watch?v=NN1OtIJu_Bk ließen die Fans ein wenig abkühlen und ihre Stimmen erholen, jedoch löste ein gigantischer weiß-gelb-grün-blauer Konfettiregen einen Sturm der Begeisterung aus, der in Verzückung überging, bis auch der letzte Papierschnipsel zu Boden geschwebt war.

Als im Anschluss daran zwei meiner absoluten Lieblingstracks früherer Alben – „Time is running out“ https://www.youtube.com/watch?v=O2IuJPh6h_A und „Undisclosed Desires“ https://www.youtube.com/watch?v=R8OOWcsFj0U gespielt wurden, war ich persönlich selig. Hätte das Konzert hier schon sein Ende gefunden, wäre ich zufrieden gewesen. Doch weit gefehlt! Matt Bellamy leitete mit Bachs „Toccata und Fuge in D-Moll“ gekonnt zu „You made me feel like it’s Halloween“ https://www.youtube.com/watch?v=oyu1WO0hRB0 über – inklusive schaurig-gruseliger Visuals auf der Bühne.

Nach dem Schmalz-Song „Madness“ https://www.youtube.com/watch?v=Ek0SgwWmF9w (übrigens Merlins Lieblingslied, das er regelmäßig mit „Mama, des Lied: Memememe …“ quittiert) nahm die Stimmung anschließend weiter an Fahrt auf.

Mit apokalyptisch fauchenden und die Hitze bis in unsere Reihen spürbaren Feuerfontänen auf der Bühne ertönte der aktuelle Song „We are fucking fucked“ https://www.youtube.com/watch?v=ac4E_UsmB1g.

Schön langsam neigte sich das Konzert seinem Ende zu, jedoch griffen die drei Jungs erneut in ihre Best-Of-Kiste und schafften es wirklich, die enorme Stimmung im Stadion bis zur letzten Minute hoch zu halten. „Supermassive black hole“ https://www.youtube.com/watch?v=Xsp3_a-PMTw, „Plug In Baby“ https://www.youtube.com/watch?v=dbB-mICjkQM, „Uprising“ https://www.youtube.com/watch?v=w8KQmps-Sog und „Starlight“ https://www.youtube.com/watch?v=Pgum6OT_VH8 entstanden alle im Jahrzent nach der Jahrtausendwende und bringen jeden echten Fan in Wallung.

Die Stimmreserven des Publikums waren beinahe aufgebraucht, das Konzert in Wahrheit zu seinem Ende gelangt. Doch für die beiden Zugabe-Songs „Kill or be killed“ und „Knights of Cydonia“ https://www.youtube.com/watch?v=G_sBOsh-vyI mit seinem immer wieder lohnenden Mundharmonika-Intro des Bassisten Christopher Wolstenholme holten alle Anwesenden noch einmal die letzten Energievorräte aus ihrem Innersten hervor und ließen mit ihren Hüpf-Tiraden ein letztes Mal den ausgerollten Kunststoffboden des Stadions erbeben.

Was für ein Abend! Ich musste zwar bei meiner Heimfahrt mit dem Auto vor Erschöpfung ein anderthalbstündiges Schläfchen auf Grazer Höhe einplanen und kam somit erst in den frühen Morgenstunden wieder zu Hause an, genoss das aber gleichzeitig und fühlte mich so jung wie schon lange nicht mehr. Prädikat: Unbedingt nachmachen!

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