
Ist der Zug abgefahren?
Nur noch wenige Wochen und DAS Jahrhundert-Projekt der österreichischen Eisenbahnhistorie geht endlich auf Schiene. Am 14. Dezember 2025 um 04:58 Uhr wird der erste Personenzug der neuen Koralmbahn losrollen. Unser ältester Sohn, der derzeit seinen Zivildienst in Hartberg/Steiermark ableistet, freut sich bereits darauf. Während er momentan in aller Regel mit dem Intercity-Bus zwei Stunden von Graz nach Klagenfurt unterwegs ist, wird sich seine Reisezeit für dieses Teilstück mit dem Railjet-XPress auf eine Dreiviertelstunde verkürzen. Abfahrt in Graz im Stundentakt.
Der Bau der neuen Südstrecke liest sich wie eine einzige Erfolgsgeschichte: 30 Jahre Bauzeit, etwas über sechs Milliarden Euro Investitionskosten, bis zu tausend Arbeiter gleichzeitig im Einsatz, 32,9 km Tunnelstrecke, zig neu errichtete oder modernisierte Bahnhöfe, Brücken und Durchlässe …
Nicht nur die Jugend findet dieses Projekt spektakulär und beeindruckend. Auch für ältere Bahnliebhaber wird wohl die Attraktivität des Zugfahrens in Österreich steigen, vorausgesetzt die Züge kommen und fahren pünktlich und die Ticketpreise bleiben erschwinglich. Leistbarkeit ist nämlich das an den geneigten Bahnkunden adressierte Verkaufsargument. Über die Interna – „Vorteilsannahme und -zuwendung zur Beeinflussung“, also Korruption – im Rahmen des Koralmbahnunterfangens schweigt man lieber weitestgehend. Das würde das heldenhafte Gesamtbild stören, obwohl die Frage nach den (Steuer-)Geldflüssen in meinen Augen immer gestellt werden sollte. Immerhin opfern viele Bürger dem Staat dafür einen (nicht unwesentlichen) Teil ihrer Lebenszeit. Dass die finanziellen Gewinner solcher gigantischen Vorhaben in einer „sozialen Marktwirtschaft“, wie wir sie in der österreichischen Bananen– *räusper“ Alpenrepublik unser Eigen nennen, höchstwahrscheinlich die Geschäftsführer, Vorstandsmitglieder, Aufsichtsräte und sonstigen Mitglieder der Champagner-Und-Kaviar-Fraktion aus dem Bereich der jeweiligen Planungs- und Errichtungsverwaltung sein dürften, erahnen wir, finden aber keinen Weg aus der Misere. Zu warm ist das Bett, das sich Politiker und Lobbyisten teilen, während sie erwähnte Führungskräfte mit dem halbvollen Champusglas in der Hand in ihre Mitte einladen. Kuschelgarantie. So bleibt dem Otto-Normalbürger nur eine gewisse Art von „Galgenhumor“, das Schimpfen am Stammtisch und der eine oder andere Schluck Alkohol für eine gewisse Leichtigkeit im Umgang mit dem Thema.
„Zu Kaisers Zeiten hätte es das nicht gegeben!“, könnte man meinen. Nehmen wir den Bau der Semmeringbahn Mitte des 19. Jahrhunderts zum Vergleich. In einer Bauzeit von rekordmäßigen sechs Jahren (!!!), der Beschäftigung von zeitgleich bis zu 20.000 Arbeitern und Kosten von 38,5 Millionen Gulden (heute inflationsbereinigt etwa 3,5 – 4 Milliarden Euro) wurde mit ihr die erste Gebirgsstrecke Europas unter Kaiser Franz Joseph I. errichtet. Noch heute ist der Anblick der Tunnelportale sowie der sechzehn teils zweistöckigen Viadukte ein wahrlicher Augenschmaus für die Ästhetiker unter uns. Nicht umsonst zählt die kaiserliche Semmeringbahn zum UNESCO-Weltkulturerbe. Korruption in einer zentralistischen Regierung mehr oder weniger ausgeschlossen, langwierige bürokratische Prozesse unnötig. Ob dahingegegen die systemische Ausbeutung der Arbeiter der K&K-Zeit vorzuziehen ist, wage ich zu bezweifeln.
Als wir uns im Sommer mit allen vier Kindern in den Zug setzten und uns gemeinsam mit ihrem eisenbahnbegeisterten Opa auf den Weg nach Lienz machten, befanden wir uns auf der Trassenführung der ebenso historischen „Drautalbahn“. Die Streckenführung blieb seit ihrer Eröffnung im Jahr 1871 bis heute zwar unverändert, …

… zahlreiche der entlang der Südbahn zu Kaisers Zeiten errichteten Bahnhofsgebäude stehen aber mittlerweile leer und werden meist ungenutzt dem Verfall preisgegeben. Vereinheitlichte Sicherheitsstandards, Barrierefreiheit und automatisierte Fahrkartensysteme führten zum Bau funktioneller Haltestellen und verdrängten die Ästhetik. Bei den neuen Bahnhöfen der Koralmbahn unternahm man gefühlt nicht einmal mehr ein „Etzerl“ Anstrengung architektonischen Liebreizes oder Einfügens in die Landschaft, wobei der Bahnhof Lavanttal und die Haltestelle Kühnsdorf meine persönliche Liste der Eisenbahnstationen des Grauens anführen.
Das denkmalgeschützte Heizhaus in Lienz aus dem Jahr 1871 erleidet durch den „Verein der Eisenbahnfreunde Lienz“ bisher nicht das Schicksal seiner Gebäudegenossen, ungenutzt bleiben zu müssen.

Der ehrenamtliche Verein, dessen Mitglied auch der Großvater unserer Kinder ist, bewahrt darin eine einzigartige Sammlung von Lokomotiven, Waggons und technischen Geräten und macht sie als Museum einer breiten Öffentlichkeit zugänglich.

Einen privaten Museumsführer dabei zu haben, der – und das war mir selbst als Tochter gar nicht in vollem Ausmaß bewusst – eine richtig große Zahl lebendiger Geschichten zu den Exponaten im Kopf hatte, war natürlich der pure Luxus.





Fasziniert lauschten die großen und kleinen Kinder der Familie Opas Erzählungen – fächerübergreifender „Unterricht“ in seiner Reinform sozusagen. Physik, Geschichte, Geografie und Mathematik wurden vor dem Hintergrund lustiger und anschaulicher Geschichten regelrecht lebendig in der Vorstellung der Zuhörer. Aus Erfahrung weiß ich, dass diese Bilder im Kopf im Nu wieder abgerufen werden können, sobald wir uns beizeiten mit unterschiedlichen theoretischen Kontexten befassen würden.

Eindrucksvoll waren die Schilderungen über den Betrieb des Schneepflugs des österreichischen Ingenieurs Rudolf Klima.

Dieses spezielle Schienenfahrzeug wurde ab den 1920er Jahren für das Entfernen großer Schneemassen von den Gleisen eingesetzt. Konnten vorher mithilfe sogenannter Schneeräumbleche nur Höhen von etwa 40 cm geräumt werden, beseitigte der Klima-Schneepflug bis zu anderthalb Meter hohen Schnee auf der Strecke. Angeschoben wurde er anfangs von einer dampfbetriebenen Schublokomotive, ab dem Ende des 2. Weltkrieges dann von einer E-Lok.





Ein besonderes Schmuckstück des Eisenbahnmuseums war ein tannengrüner Spantenwagen mit dem klingenden Namen „Wendelino“.

Auch dieser Waggon konnte betreten werden und versprühte einerseits den nostalgischen Charme der Nachkriegszeit, andererseits die Zuversicht, dass das von den mit Kunstleder bezogenen Holzbänken nach einer längeren Reise unvermeidlich schmerzende Hinterteil irgendwann auch wieder aufhören würde, weh zu tun.


Da werden die ergonomischen Sitze der neuen Railjet-Generation der ebenso neuen Koralmbahn gewiss um einiges bequemer sein. Nur in ein Eisenbahnmuseum werden sie es vermutlich nicht schaffen. Der Anspruch unserer Zeit ist es eben nicht, Dinge von Dauer zu schaffen. Es genügt, wenn sie die nächste Legislaturperiode oder den nächsten Budgetzyklus überstehen.



2 Kommentare
Werner vlg. "Opa "
Danke für diesen Super-Beitrag. Ist ein Genuss zum Anschauen.
Imperator
Wir sagen danke für die eindrucksvolle Führung 🙂