FreiBrief
Freie Meinung - Politik & Philosophie
-
Ist der Zug abgefahren?
Nur noch wenige Wochen und DAS Jahrhundert-Projekt der österreichischen Eisenbahnhistorie geht endlich auf Schiene. Am 14. Dezember 2025 um 04:58 Uhr wird der erste Personenzug der neuen Koralmbahn losrollen. Unser ältester Sohn, der derzeit seinen Zivildienst in Hartberg/Steiermark ableistet, freut sich bereits darauf. Während er momentan in aller Regel mit dem Intercity-Bus zwei Stunden von Graz nach Klagenfurt unterwegs ist, wird sich seine Reisezeit für dieses Teilstück mit dem Railjet-XPress auf eine Dreiviertelstunde verkürzen. Abfahrt in Graz im Stundentakt. Der Bau der neuen Südstrecke liest sich wie eine einzige Erfolgsgeschichte: 30 Jahre Bauzeit, etwas über sechs Milliarden Euro Investitionskosten, bis zu tausend Arbeiter gleichzeitig im Einsatz, 32,9 km Tunnelstrecke, zig…
-
DEUTSCHLAND – Kulturgut Spielzeug?
Zu Kinderspielzeug im allgemeinen habe ich ein zwiespältiges Verhältnis. Zwei Herzen schlagen, was das betrifft, in meiner Brust. Der Ästhet und Handwerksliebhaber in mir sitzt auf der einen Schulter und flüstert mir zu: „Hochwertig und nachhaltig produziertes Spielzeug kann gerade bei älteren Kindern ein guter Lehrmeister sein und das technische Verständnis schulen.“ Der Minimalist in mir widerspricht und behauptet: „Kinder machen sich ihr Spielzeug doch selbst. Alles, was dafür erforderlich ist, ist die Natur und eine ordentliche Portion Fantasie.“ Nur beim Thema „Wegwerfspielzeug“ muss ich keine Sekunde überlegen. „Entbehrlich“ ist noch der milde Ausdruck, der sich gedanklich vordrängt, aber immer wieder vom mahnenden Kollegen unterbrochen wird, der „schädlich“ ruft. Lediglich…
-
DEUTSCHLAND – Oooooobacht! Baum fäääääällt!
Die Familiengeschichte meines Mannes liest sich wie so viele aus der Zeit des zweiten Weltkrieges: Flucht, Propaganda, dem Krieg zum Opfer gefallene Zivilisten und Soldaten, Trauer, Traumatisierung und dennoch Kraft und Hoffnung um weiterzumachen. Mein Schwiegervater, Sohn einer italienischsprachigen Südtirolerin aus Gresta und eines deutschsprachigen Südtirolers aus der Kaltenbrunner Gegend und Bruder vierer Geschwister erblickte kurz vor Ausbruch des Krieges das Licht der Welt. Mussolinis Plan der Italianisierung und Umvolkung der deutsch-ladinischen Bevölkerung führte zur Vertreibung zehntausender Südtiroler, darunter auch jene seiner Familie, die mit Aussicht auf eine Anstellung nach Österreich auswanderte. Nach einem Bombenangriff der Engländer im Gailtal kehrte der Vater meines Schwiegerpapas nicht mehr nach Hause zurück. Die…
-
Es ist alles Gold, was glänzt.
Menschen als wertvolle Individuen mit ihren jeweiligen höchstpersönlichen Stärken zu betrachten, fördert ein gedeihliches Zusammenleben. Bei einer differenzierten Betrachtungsweise über den Wert jedes Einzelnen in einer Gesellschaft darf man sich seines eigenen Platzes bewusst werden, ohne in anmaßende Hybris zu verfallen. Gleichzeitig darf man erkennen, dass einem die Talente der anderen nicht nur nützlich sind, sondern diese das eigene Leben vielfältig bereichern und sei es nur, weil sie einen Perspektivenwechsel auf die Dinge und Angelegenheiten des Alltags ermöglichen. Für mich persönlich kristallisierte sich im Laufe meines Lebens heraus, dass die Ausgewogenheit zwischen dem Dienst an der Gesellschaft (respektive dem Partner und der Familie) und dem Dienst an sich selbst die…
-
Dem Himmel sei Dank!
Als ich am Sonntag aufwachte, dachte ich an die Eltern des am 15. Februar in Villach ermordeten 14jährigen Jungen. Ich fühlte mich an den 9. Juli 2017 zurückversetzt, jenen Tag, als unser Sohn tags zuvor gestorben war. Die Leere, die Erschöpfung, die Zweifel über die Echtheit des Erlebten, das Gefühl der Unvollständigkeit, all das ploppte einen Sekundenbruchteil lang als schmerzhafte Erinnerung auf. Ich empfand Mitleid mit der Familie, dessen Kind so grausam aus dem Leben gerissen worden war, und hatte gleichzeitig den Anhauch schlechten Gewissens, weil es gottlob nicht eines unserer Kinder gewesen war und ich deshalb gleichzeitig tiefe Dankbarkeit in mir spürte. In unserem gesamten Umfeld brodelte es. Trauer…
-
„Oh my God, they killed Kenny! You bastards!“
Achtung! Der folgende Beitrag animiert möglicherweise Nichtkenner der TV-Serie „Southpark“ dazu, diese Wissenslücke füllen zu wollen. „Southpark“ sieht auf den ersten Blick so aus, als sei es für Kinder gemacht. In Wahrheit ist das Zielpublikum älter als 16 Jahre und idealerweise an Politik sowie Gesellschaftskritik interessiert. Man muss schon Zynismus und schwarzen Humor mögen sowie obendrein über Fäkalwitze lachen können, um damit etwas anzufangen. Die gemeinsame „Southpark“-Zeit meines Mannes und mir liegt bald zwanzig Jahre zurück. In Erinnerung geblieben ist „Kenny McCormick“, einer der vier Hauptprotagonisten der Serie, der in annähernd jeder Folge der ersten fünf Staffeln eines unnatürlichen Todes starb und in der nächsten Folge unversehrt und kommentarlos wieder…
-
LONDON – Soho, Schmelztiegel der Exzentriker
Soho zu beschreiben ist eine Aufgabe für sich. Stellt euch ein Stadtviertel vor, das sich seit Jahrzehnten vor allem durch Veränderung auszeichnet, in dem sich Geschäfte und Restaurants immer wieder neu erfinden, in dem musikalische, modische und politische Außenseiter aufeinandertreffen und in dem man sich nie sicher sein kann, ob man hinter der nächsten Tür einen Raum mit Lustern oder Rotlicht vorfinden wird. Wir wagten einen Streifzug durch diesen pulsierenden Teil Londons und begannen ihn recht zeitig am Morgen an der markanten Kreuzung „Seven Dials“ mit einem „English Breakfast“ für Vegetarier in „The Breakfast Club“. Genauer gesagt, wagte nur ich mich über diese typische Art des Frühstücks, während sich die…
-
KROATIEN – Ein bisschen Frieden
Sieht man sich die weltweite politische Entwicklung dieser Tage an, kommt man beinahe an den Rand der Verzweiflung und Resignation. Irgendwie beschleicht mich das dumpfe Gefühl, als sei die Menschheit doch noch nicht so weit entwickelt, wie sie es sich selbst vorgaukelt. Die Gier nach Geld und Macht weniger skrupelloser Über-Leichen-Gänger und eine angstgepeinigte Masse an kleinen Hamstern in ihrem jeweiligen Rad sind eine Jahrtausende alte Konstellation, die ganz offensichtlich nach wie vor bestens funktioniert. Bereits der altehrwürdige Yoda erkannte: „Furcht führt zu Wut. Wut führt zu Hass. Hass führt zu unsäglichem Leid.“ Nur eine winzige Voraussetzung ist vonnöten, um jenen Kreislauf aufrecht zu erhalten. Es braucht einen Kurier, der…
-
WIEN – Krieg gehört ins Museum
Unsere kurze Bildungsreise nach Wien neigte sich bereits dem Ende zu. Nach einem ausgiebigen Frühstück mit liebgewonnenen Freunden im altehrwürdigen Café „Goldegg“ spazierten wir gemeinsam zum Heeresgeschichtlichen Museum. Das eindrucksvolle Gebäude bestehend aus sage und schreibe 117 Millionen Ziegeln zeugt selbst von einer nicht minder beeindruckenden Geschichte, die in die Zeit der bürgerlichen Revolution des Jahres 1848 zurückreicht. Um gegen mögliche zukünftige Aufstände der Bevölkerung vorgehen zu können, wurde die Errichtung einer Militärkaserne in Kanonenschussweite zur Innenstadt beschlossen und diese unter Kaiser Franz Josef I. im Jahr 1856 fertiggestellt. In der Feldherrenhalle erwartete uns inmitten der sechzig Offiziere aus Carrara-Marmor eine junge Historikerin, die uns im Rahmen der vorab gebuchten…
-
Qualitätsjournalismus
Noch gibt es sie: unsere Printmedien. Krisengebeutelt klagen sie über sinkende Abonnentenzahlen und das Wegbrechen von Werbeanzeigen durch steigende Konkurrenz aus dem Onlinesegment. Warum sie diese komplexe Marktsituation nicht über eine Rückbesinnung zum ursprünglichen journalistischen Qualitätsanspruch auszugleichen versuchen, ist mir unerklärlich. Das Gegenteil passiert: Die Boulevardisierung der „seriösen“ Medien schreitet unaufhaltsam voran. Da fällt es auch nicht weiter auf, dass sowohl Korrektoren als auch Lektoren mittlerweile ganz offensichtlich zu den besonders bedrohten Arten zählen. Journalistische Textsorten in ihrer historischen Entwicklung und insbesondere aus der Perspektive des aktuellen Zeitzeugen zu betrachten, machte unserer Tochter Maja (13) und mir viel Spaß. Nachdem wir uns mit allerlei Begrifflichkeiten rund um Zeitungen auseinandergesetzt hatten,…