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LONDON – Auf alten Treppelwegen
London ist eine Stadt mit unterschiedlichsten Gesichtern: elegant, pulsierend, modern, verrückt, steif, verrucht, exzentrisch, bunt, aristokratisch. Ich bin davon überzeugt, dass ein ganzes Leben nicht ausreicht, um jeden Winkel dieser Metropole zu erkunden. Bereits im Jahr 1801 überschritt die Einwohnerzahl der Stadt die Millionengrenze. Im Laufe des 19. Jahrhunderts entwickelte sie sich zur damals größten Stadt der Welt, gleichwohl sie sehr kompakt war. Die Menschen bewegten sich zu Fuß oder zu Pferde fort, nur die reichsten unter ihnen konnten sich Kutschen leisten. Über die verschmutzte Themse führten in dieser Zeit erst zwei Brücken. Am Fluss selbst verkehrten zahlreiche sogenannte „Wherries“, kleine Ruderboote, die der Beförderung von Menschen (und Waren) dienten.…
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LONDON – Wingardium leviosa!
Habt ihr auch Kinder, die die übernatürliche Welt der Hexen und Zauberer des Harry-Potter-Universums lieben? In unserem Muggelhaushalt gibt es große Fans von anmutigen Schneeeulen, hüpfenden Schokofröschen und magischen Rumtreiberkarten. Da ich nicht willens war, hunderte Euros für Tickets und Transfer zu den Warner-Bros-Studios in London auszugeben, hatte ich stattdessen eine themenbezogenen Tour durch die Stadt vorbereitet, auf die ich die Kinder mitnehmen wollte. Den Beginn machte das „House of MinaLima“ in Soho. Das sagt euch nichts? Die Theaterdesignerin Miraphora Mina und der Grafiker Eduardo Lima konzipierten und erschufen die Grafiken der Harry-Potter-Welt für das Filmstudio und setzten ihre Arbeit im Rahmen vieler Designaufträge für das Franchise nach Fertigstellung der…
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LONDON – Soho, Schmelztiegel der Exzentriker
Soho zu beschreiben ist eine Aufgabe für sich. Stellt euch ein Stadtviertel vor, das sich seit Jahrzehnten vor allem durch Veränderung auszeichnet, in dem sich Geschäfte und Restaurants immer wieder neu erfinden, in dem musikalische, modische und politische Außenseiter aufeinandertreffen und in dem man sich nie sicher sein kann, ob man hinter der nächsten Tür einen Raum mit Lustern oder Rotlicht vorfinden wird. Wir wagten einen Streifzug durch diesen pulsierenden Teil Londons und begannen ihn recht zeitig am Morgen an der markanten Kreuzung „Seven Dials“ mit einem „English Breakfast“ für Vegetarier in „The Breakfast Club“. Genauer gesagt, wagte nur ich mich über diese typische Art des Frühstücks, während sich die…
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LONDON – Eine Busfahrt wie früher …
Rote Doppeldeckerbusse gehören zum Stadtbild Londons wie die ebenso roten Telefonzellen oder die schwarzen, bauchigen Taxis. Auch wenn der NB4L („New Bus for London“) – auch NRM („New Routemaster“) genannt – des nordirischen Busherstellers „Wrightbus“ längst den ursprünglichen „Routemaster“ ersetzt hat, blieb doch der Gesamteindruck erhalten. Eine Zeit lang fuhr der Klassiker mit der offenen Plattform, auf die man auch außerhalb regulärer Haltestellen auf- und abspringen konnte, wenn der Bus verkehrsbedingt ins Stocken geriet, noch auf den Linien 9 und 15, mittlerweile wurden aber auch diese eingestellt. Wer mich kennt, der weiß, dass ich hie und da regelmäßig nostalgische Anfälle erleide. Im Rahmen einer solchen Anwandlung hatte ich das starke…
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LONDON – Notting Hill und die verschwundene blaue Tür
Geht man im Oktober mit Kindern etwas mehr als zwei Wochen lang im Norden Europas auf Reisen, so muss man wohl damit rechnen, dass dem einen oder anderen die Nase zu rinnen oder der Hals zu kratzen anfängt. Wir blieben nicht verschont. Linus (10) und ich zogen also alleine los, um das nahe gelegene Stadtviertel Notting Hill zu erkunden. Selbstverständlich hatten wir im Vorfeld alle den berühmten Film mit Julia Roberts und Hugh Grant im Originalton angesehen, um unser Englisch aufzubessern. Es war also klar, dass wir uns auf die Suche nach der „blauen Tür“ begeben wollten, hinter der der Buchhändler William Thacker seiner Kundin Anna Scott sein Badezimmer zum…
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LONDON – „Konnichiwa“ und „Mata ne“ in London
Dass ich zur Zeit überhaupt mit meinen drei großen Kindern in London bin, ist ja eigentlich der Tatsache geschuldet, dass Laurins (17) Lieblingsdestination Japan schlicht außerhalb des für uns Leistbaren liegt, dies in Kombination mit der Tatsache, dass sich die Entfernung eines Reiseziels bei uns immer direkt proportional zur Aufenthaltsdauer verhält und unser Beruf kaum Reisen von mehr als zwei oder drei Wochen am Stück möglich macht. Sie mussten sich für einen Ort innerhalb Europas entscheiden und schafften es tatsächlich, sich eines der gefühlt teuersten Pflaster auszusuchen. Um meinen ältesten Sohn zumindest ein bisschen japanische Luft schnuppern zu lassen, plante ich einen Tag im Zeichen des „Landes der aufgehenden Sonne“…
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LONDON – Teatime
Stellt euch ein prunkvolles viktorianisches Herrenhaus aus roten Backsteinen, weiß gestrichenen Erkerfenstern und Schieferdächern vor, einen steifen Butler in schwarzer, förmlicher Uniform und weißen Handschuhen und einen Kreis schnatternder Frauen in eng geschnürten Korsetts und ausladenden Kleidern, wie sie dampfenden Earl Grey mit etwas Milch und Zucker zu sich nahmen und währenddessen den neuesten Klatsch aus der oberen Mittelschicht austauschten. Ist das nicht auch für euch britische Tradition in Reinkultur? Was mir lange nicht klar war, ist, dass die Gepflogenheit des „afternoon tea“ respektive des „five-o-clock-tea“ in Wahrheit vergleichsweise jung ist. Anna Russel, der siebenten Herzogin von Bedford und Hofdame der Königin Victoria, ist die britischste der britischen Traditionen zuzuschreiben.…
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LONDON – Charles Dickens oder „Vom Tellerwäscher zum Millionär“
Wer von euch kennt nicht „Die Weihnachtsgeschichte“, in der sich der geizige und herzlose Ebenezer Scrooge durch die Erscheinung mehrerer Geister dem Guten zuwendet? Und ist euch nicht auch der Waisenjunge „Oliver Twist“ bekannt, der durch seine Lebensumstände unter Leichenbestattern und Taschendieben verkehrt und viel durchleiden muss, bis ihn das Leben endlich belohnt? Die Gegenüberstellung von Arm und Reich, von Recht und Unrecht, von Glück und Elend prägt zahlreiche Werke eines englischen Schriftstellers, der wohl zu den bekanntesten des 19. Jahrhunderts zählt: Charles Dickens. Er selbst war Sohn eines überschuldeten Mannes, der aufgrund seiner hohen Außenstände im Gefängnis und er selbst daraufhin im Alter von zwölf Jahren als ausgebeuteter Industriearbeiter…
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LONDON – Ein Pferd! Ein Pferd! Mein Königreich für ein Pferd!
Maja (14) hätte es nach unserem Spaziergang auf Shakespeares Pfaden in London wohl Richard III. gleich getan und ihre größten Schätze für einen fahrbaren (oder reitbaren) Untersatz geboten. Immerhin sind wir beinahe 14 Kilometer durch die Stadt gewandert. Davon legte sie – ungelogen sehr schick in ihren Schnürstiefeletten mit Absatz – sicher zehn zurück ohne zu jammern. Irgendwann aber schlug ihre Stimmung schlagartig um. Von diesem Moment an wurde der Rest der Welt – allen voran meine Wenigkeit, da ich die Route ja zusammengestellt hatte – für ihr Dilemma verantwortlich gemacht und entsprechend angefaucht. In meiner Jugend sagte man ja nur: „Wer schön sein will, muss leiden.“ Es ist mir…
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LONDON – Es ist höchste Eisenbahn!
Mein Mann erklärte mich für verrückt. „Du willst mit dem Zug nach London fahren? Das willst du dir wirklich antun?“ Ich setzte bildlich gesprochen meine rosarote Brille aus den 70er Jahren auf und antwortete naiv: „Klar. Warum nicht? Ich liebe Zugfahren! Und außerdem möchte ich irgendwann gerne mit dir gemeinsam zum allerersten Mal in ein Flugzeug steigen.“ Bereits im April buchte ich die Fahrkarten. Die Österreichischen Bundesbahnen (OEBB) sollten uns mit dem Nightjet im Schlafwagen zum Sparschiene-Tarif nach Stuttgart bringen. Von dort aus war die Weiterreise mit der Deutschen Bahn (DB) nach Paris und am Ende mit dem Eurostar nach London geplant. Schon im Juni folgte die erste Ernüchterung. Es…